Gesellschaft mit gebundenem Vermögen: Kein notwendiger Gemeinwohlbezug

Kommentar

Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners
Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners

Bildnachweis: lindenpartners.

Die doppelte Bedeutung von Nachhaltigkeit sorgt mitunter für Verwirrung. Nachhaltigkeit in einem formalen Sinn meint lediglich Langfristigkeit. In einem materiellen Sinn bedeutet der Begriff, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten künftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Es besteht kein Grund, in der ersten Begriffsbedeutung einen Wert an sich zu sehen: Man kann auch nachhaltig böse sein oder nachhaltig die Menschenrechte und Umwelt schädigen. Ethisch wertvoll ist nur Nachhaltigkeit im materiellen Sinn.

Manchmal geraten die unterschiedlichen Begriffsbedeutungen jedoch durcheinander. Das scheint auch bei der Diskussion über die geplante neue Rechtsform der „GmbH mit gebundenem Vermögen“ der Fall zu sein, wenn diese in einen Kontext von Sustainable Corporate Governance gestellt wird. Die von einer ganzen Reihe von Familienunternehmern und Start-ups unterstützte Initiative für diese neue Rechtsform will die Schaffung von Unternehmen ermöglichen, die von sich aus auf die Verfolgung langfristiger Ziele ausgerichtet sind. Das Vermögen der Gesellschaft soll dauerhaft verselbstständigt werden. Anders als bei der klassischen GmbH sollen die Gewinne der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet, sondern nur thesauriert werden können. Abfindungs- und Liquidationserlöse sollen auf die Höhe der Einlage beschränkt sein. Eine Übertragung von Anteilen soll nicht an jedermann zulässig sein, sondern nur an einen qualifizierten Gesellschafterkreis. Der Entwurf für die neue Gesellschaftsform sieht zusätzlich eine Art Ewigkeitsgarantie vor; das heißt, die Wahl der neuen Rechtsform ist unumkehrbar und kann auch durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss nicht aufgehoben werden.

ESG-Belange nicht zwingend

Es gibt viele lobenswerte Gründe, sich für die neue Gesellschaftsform einzusetzen. Insbesondere im Hinblick auf die bessere Gestaltung der Unternehmensnachfolge werden in ihr zu Recht Chancen gesehen. Allerdings können bei der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen nach dem gegenwärtigen Entwurf die Gesellschafter das von dem Unternehmen zu verfolgende Ziel frei bestimmen. Nicht erforderlich soll sein, dass die Gesellschaft einen gemeinwohlorientierten Zweck verfolgt. Mit Sustainability im Sinn von ESG-Belangen hat das neue Konstrukt daher nur möglicherweise, aber keinesfalls notwendig zu tun. Im Gegenteil: Es ist kein im Kern altruistisches Prinzip, das der neuen Gesellschaftsform zugrunde liegt. Vielmehr wird mit ihr eine weitere Verabsolutierung des in seinem Ziel völlig offenen Willens der Gesellschafter verfolgt – mit Ausnahme des Zugriffs auf das Gesellschaftsvermögen.

Reformbemühungen notwendig

Die Einführung der neuen Rechtsform löst daher die wirkliche Reformaufgabe für das Gesellschaftsrecht im Hinblick auf ESG nicht. Das deutsche Gesellschaftsrecht krankt nicht an einer Unterbetonung des Unternehmensinteresses als Richtschnur des Gesellschafts-handelns,sondern im Gegenteil an einer Fixierung darauf. Aus gesamt-gesellschaftlicher Sicht ist es problematisch, dass Gemeinwohlbelange bislang im Rahmen des Unternehmensinteresses nicht hinreichend Berücksichtigung finden. Notwendig sind deswegen Reformbemühungen zur Einfügung einer materiell nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflicht von Unternehmen und Geschäftsleitern in das allgemeine Gesellschafts-recht, und da schafft auch die neue Rechtsform keine Änderung. Vielmehr gilt für sie das, was immer gilt im deutschen Gesellschaftsrecht: Im Endeffekt sind wirtschaftliche Erwägungen rechtlich ausschlaggebend. Ethik muss sich lohnen – das ist die Maxime, nach der Unternehmenslenker gegenwärtig in Deutschland ihre Entscheidungen treffen müssen.

Fazit

Die mit der Einführung der neuen Rechtsform verbundene Gefahr liegt insofern darin, dass man meint, damit im Gesellschaftsrecht genug getan zu haben im Hinblick auf die Förderung materiell verstandener Nachhaltigkeit. In Wirklichkeit aber hat die neue Gesellschaftsform mit Sustainable Corporate Governance notwendig nicht das Geringste zu tun.