Bildnachweis: BASF Venture Capital, IDS, F-Log, HTGF.
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten halten Unternehmen gerne ihr Geld zusammen. Viele ihrer Venture Capital-Arme haben sich daher zuletzt zurückgehalten. Auf die neuen Ideen und Technologien von Start-ups können die etablierten Unternehmen aber heute nicht mehr verzichten, wenn sie sich am Markt behaupten wollen. Deshalb sind Corporate Venture Capitalisten (CVCs) auch in Zukunft nicht mehr wegzudenken.
Im Frühsommer hat der französische Öl- und Gasmulti TotalEnergies den größten Teil seines Corporate Venture-Geschäfts an einen klassischen Venture Capitalisten verkauft, die ebenfalls französische Firma Aster. Erst 2019 hatte TotalEnergies Venture angekündigt, in den nächsten fünf Jahren 400 Mio. EUR in junge Unternehmen zu investieren, vorrangig in solche, die Technologien zur Erreichung von Klimaneutralität anbieten. Nun der Rückzug. Künftig will sich TotalEnergies auf seinen Accelerator TotalEnergies On konzentrieren, um möglichst früh vielversprechende Start-ups für den Energiesektor zu entdecken, zu fördern und dafür mutmaßlich erheblich weniger Mittel einzusetzen. Warum dieser Schwenk? Es dürfte eher kein Zufall sein, dass der Rückzug in eine Zeit fällt, die von Konjunktursorgen ebenso geprägt ist wie von geopolitischen Verwerfungen, von Inflation, von steigenden Zinsen. Dieses Umfeld sorgt überall für Unsicherheit und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Investitionen in Start-ups im vorigen Jahr deutlich zurückgegangen sind. Für Deutschland hat die Beratungsgesellschaft EY einen Rückgang von Venture Capital-Geld gegenüber dem Vorjahr von 43% ermittelt. Allerdings war 2021 auch ein Rekordjahr gewesen.
Kein Anzeichen einer Marktflucht
Vielerorts fragen sich Branchenkenner angesichts der Abschwächung im Venture-Geschäft, ob sich die Geschichte wiederholt und man erneut in eine Situation wie Anfang der Jahrtausendwende hineinrutscht. Nach dem Platzen der Dotcomblase hatten sich damals vor allem Unternehmen scharenweise aus dem Venture-Geschäft zurückgezogen. Genaue Zahlen sind aktuell schwer zu bekommen. Das liegt vor allem daran, dass Unternehmen zwar laut verkünden, wenn sie sich einen eigenen Venture-Bereich zulegen, die Schließung dieser Geschäftseinheiten dann aber meist im Stillen geschieht. Daten des Analysehauses Global Corporate Venturing (GCV) stützen die Befürchtung einer regelrechten Marktflucht auf Unternehmensseite jedenfalls nicht. Bislang wurden in diesem Jahr immerhin 23 neue CVCs gezählt, schreiben die Analytiker in ihrem jüngsten Bericht. Zudem hätten 70% der Unternehmen, die 2022 in Start-ups investiert haben, erklärt, es auch in diesem Jahr tun zu wollen – allerdings in deutlich geringerem Umfang. Gleichwohl hält der Abwärtstrend einstweilen an, wie sich am Rückgang der Finanzierungsrunden mit CVC-Beteiligung von rund 3.000 im ersten Halbjahr 2022 auf etwa 1.800 im ersten Halbjahr dieses Jahres ablesen lässt. In der GCV-Analyse fällt auch auf, dass die Zurückhaltung von Corporate Venture Capital regional sehr unterschiedlich ausfällt. In den USA, China und Indien waren die deutlichsten Rückgänge zu verzeichnen; in Europa fiel der Abschwung dagegen insgesamt eher moderat aus.
CVCs sind erwachsen geworden
Ein dramatischer Rückzug von CVCs mag auch deshalb bislang ausgeblieben sein, weil sie noch erhebliches Dry Powder haben. Ihr Verfügungsrahmen wurde in vielen Fällen noch vor Beginn der allgemeinen Marktschwäche von den jeweiligen Unternehmen festgelegt. Aber der wohl wichtigere Faktor dürfte sein, dass CVCs in der Summe inzwischen „erwachsen“ geworden sind. Die Unternehmen stellen ihren Venture Capital-Armen zunehmend feste Mittel zur Verfügung und lassen ihnen mehr Freiheit, sie auszugeben – auch wenn sie das Geld in einer konjunkturellen Durststrecke gut für ihr Kerngeschäft brauchen könnten. Während es zuvor oft hieß: „Was nutzt uns eine konkrete Start-up-Beteiligung und wie schnell können wir sie bei uns integrieren“, wird heute mehr darauf geachtet, welches Potenzial ein Start-up hat und wie man es optimal unterstützen kann. Den Unternehmen bleibt auch nicht viel anderes übrig, als sich anzupassen, denn sie erkennen immer mehr, dass sie auf die innovativen Neugründungen angewiesen sind.
CVC als Partner immer mehr willkommen
Lange Zeit waren CVCs für einige Gründer und Co-Investoren bei der Finanzierung ihrer Start-ups nicht die erste Wahl. In der Zusammenarbeit mit konzerngebundenen Investoren sahen diese Gründer das Risiko einer zu starken Einschränkung, da man befürchtete, die CVCs würden Exklusivitätsvereinbarungen und Sonderrechte im kommerziellen Bereich sowie auf gesellschaftsrechtlicher Ebene fordern. Mit einem solchen Ansatz sind allerdings nur wenige CVCs tatsächlich – und oft nur für kurze Zeit – im Markt unterwegs. Diese Abwehrhaltung hat sich daher nach Einschätzung von Markus Solibieda, Managing Director von BASF Venture Capital, in den letzten Jahren verändert. „In der Vergangenheit wurden die Finanzierungs-angebote von Corporates gelegentlich zurückhaltend bewertet. Das hat sich komplett gewandelt. Eine Beteiligung von CVC an Finanzierungsrunden gilt heute immer mehr als Qualitätsmerkmal“, sagt er. Vielfach würden sie heute gerade von den renommiertesten Finanz-Venture-Capitalisten zur Beteiligung an Finanzierungsrunden eingeladen. Diese Co-Investoren versprechen sich von der Beteiligung von Corporates oft zusätzliche Einblicke zum Beispiel in die technische und kommerzielle Due Diligence sowie beim Marktzugang. Die Akzeptanz von CVC hängt durchaus auch von der Branche ab, in der ein Start-up unterwegs ist. In den Bereichen Pharma und Life Sciences ist es schon lange gang und gäbe, mit Corporates und deren Venture-Einheiten zusammenzuarbeiten. Das hat viel mit dem dort früh entstehenden großen Finanzierungsbedarf bei sehr hohem Risiko zu tun. Ein Corporate kann hier mit der Beteiligung an mehreren Biotech-Start-ups sein Risiko sinnvoll streuen. Gleichzeitig ist aus Sicht der Biotech-Start-ups die Expertise – und die Finanzkraft – von Konzernen ein wertvoller Beitrag.
Mehr Mittelständler entdecken Venture Capital
In der Anfangszeit von CVC in Deutschland leisteten sich fast nur die großen Unternehmen einen Venture-Arm. Dem Mittelstand galt diese Art der Finanzierung lange als deutlich zu riskant, der Nutzen schien eher gering. Auch schreckten die hohen Kosten, denn es ist nicht damit getan, eine bestimmte Geldsumme in einen Topf zu legen: Man muss auch die nötige Expertise aufbauen, man braucht Leute, die sich in der Welt des Wagniskapitals auskennen und die beurteilen können, wo Investments in Start-ups vielversprechend sind. Und schließlich war auch die Vorstellung abschreckend, dass diese Investments für die Katz sein können, wenn ein junges Unternehmen scheitert. In den letzten Jahren hat sich dieses Denken aber geändert. Das merkt zum Beispiel auch der High-Tech Gründerfonds (HTGF), der Ende Februar für seinen neuen Fonds knapp 500 Mio. EUR eingesammelt hat – zunehmend von mittelständischen Unternehmen. „Die Nachfrage ist gerade auch im Mittelstand sehr hoch, besonders dort, wo Transformationsdruck besteht. Die Unternehmen spüren, dass sie diese Transformation allein nicht schnell genug schaffen. Sie brauchen den Zugang zu Start-ups, den Zugang zu schnellem Denken und Umsetzen“, sagt HTGF-Geschäftsführerin Romy Schnelle. Viele der beim HTGF investierten Unternehmen seien auch noch in anderen Fonds aktiv, etwa in solchen, die internationaler investierten oder in späteren Phasen. Einige hätten parallel auch eigene Venture-Arme am Markt. „Gerade der Mittelstand ist endgültig wachgerüttelt. Das zeigt das große Interesse an unserem neuen Fonds. Im vorigen Fonds war das Interesse noch deutlich geringer“, sagt Schnelle.
Geschwindigkeit zählt
Erstmals dabei ist die Firma IDS Imaging. Mit einem Umsatz von 75 Mio. EUR ist der Hersteller von Industriekameras nach eigener Einschätzung zu klein, um Direktbeteiligungen zu erwerben. Allerdings arbeitet er schon seit fünf Jahren über technische Partnerschaften mit Start-ups zusammen. „Unser HTGF-Engagement ist eine Art Test, um zu sehen, welche für uns interessanten Startups derzeit auf dem Markt sind und was technologisch auf uns zukommt“, sagt Sigrid Rögner, die den IDS-Bereich Business Innovation & Ecosystem verantwortet. Verzichten könne heute keiner mehr auf Start-ups, findet sie, denn die jungen Unternehmen seien einfach schneller. Als IDS vor einigen Jahren eine Industriekamera entwickelte, die mit künstlicher Intelligenz arbeitet, war unter den etablierten Unternehmen keines kooperationsfähig – einige Start-ups hingegen durchaus. „Wir brauchen Partner, und die ersten sind immer Start-ups“, sagt Rögner.
Autark trotz Unternehmensnähe
Einen Schritt weiter als IDS Imaging in puncto Start-up-Finanzierung ist F-Log Ventures. 2021 vom Logistikdienstleister Fiege gegründet, agiert F-Log als eigenständiger Wagniskapitalfonds im Markt – allerdings mit Fiege als bislang einzigem Investor. „Wir nutzen das Beste aus zwei Welten. Auf der einen Seite können wir auf die Unterstützung der Firma Fiege für unsere Start-ups zugreifen, sofern von ihnen gewünscht. Auf der anderen Seite sind wir kein CVC, weil wir von Fiege fest zugesagtes Kapital zur Verfügung haben und keinen strategischen Fit mit unserem Investor benötigen“, sagt Geschäftsführerin Tanja Rosendahl. Den Fokus legt F-Log Ventures aber trotz seiner Unabhängigkeit auf Jungunternehmen, die im weitesten Sinn
etwas mit Logistik und Supply Chain zu tun haben. „Das Investment soll in erster Linie eine Rendite bringen, und wenn zusätzlich ein potenziell strategischer Nutzen für unseren Investor oder unser Netzwerk entsteht, ist das ein positiver zusätzlicher Effekt. Dieser Ansatz stößt bei Start-ups auf viel Akzeptanz“, meint Rosendahl. „Der Markt hat verstanden, dass wir ein Venture-Fonds sind, aber man sieht auch, was wir an Expertise aus dem Logistikbereich mitbringen können“, erklärt sie.
Fazit
CVCs werden nicht wieder vom Markt verschwinden wie vor 20 Jahren: Denn im Unterschied zu damals stehen zahlreiche Branchen mitten in einer technologischen Transformation. Deren Bewältigung funktioniert mit den eigenen Leuten in Forschung und Entwicklung einfach nicht schnell genug, auch wenn es manchmal Hunderte sind. TotalEnergies steht bislang mit seinem Rückzug aus dem CVC-Geschäft recht allein da. Andere haben trotz der jüngsten Krise gar nicht erst aufgehört, zu investieren. Beispiel BMW: Die Autobauer aus München haben über ihren Venture Capital-Arm BMW i Ventures in den letzten zwölf Monaten Millionen in Start-ups investiert, die in so unterschiedlichen Bereichen unterwegs sind wie optische KI-Technologie, neue Elektromotoren, E-Ladeplattformen oder Verfahren zur Kupfergewinnung. „Das Venture-Geschäft wird sich immer fester im Innovationsmanagement der Unternehmen verankern“, ist Solibieda überzeugt.