Alternative oder Ergänzung in turbulenten Zeiten?

Venture Debt als Wachstumskapital

Björn Weidehaas und Dr. Sebastian Sumalvico, Lutz | Abel
Björn Weidehaas und Dr. Sebastian Sumalvico, Lutz | Abel

Bildnachweis: Lutz | Abel.

Corona, Ukraine, Lieferengpässe, Inflation – die jüngsten politischen und wirtschaftlichen Krisen sorgen für volatile Märkte sowie in weiten Teilen zumindest zu Beginn des Jahres für weniger spendierfreudige Venture Capital-Investoren. Könnte Venture Debt die Rettung für manche Start-ups sein?

Venture Debt ist ein speziell konzipiertes Fremdkapitalinstrument für mit Venture Capital finanzierte und wachstumsstarke Unternehmen, denen der Weg zum klassischen Fremd-kapitalmarkt nicht eröffnet ist. Grund hierfür ist oftmals, dass klassische Fremdkapitalgeber üblicherweise einen positiven Cashflow des Unternehmens verlangen sowie hohe Anforderungen an historische Unternehmensdaten stellen. Venture Debt-Provider erwarten hingegen nicht, dass die von ihnen finanzierten Start-ups im klassischen Sinne „bankable“ sind – sie setzen aber als Ersatz für einen positiven Cashflow voraus, dass das Start-up bereits eine erhebliche Eigenkapitalfinanzierung erhalten hat. Außerdem soll es Umsätze aufweisen, die in naher Zukunft Gewinne erwarten lassen, um eine Rückführung des Fremdkapitals zu ermöglichen. Damit eignet sich Venture Debt vor allem für die Wachstumsfinanzierung fortgeschrittener Start-ups mit einem tragfähigen und skalierbaren Geschäftsmodell.

Welche Bestandteile hat eine Venture Debt-Finanzierung?

Juristisch handelt es sich um Kreditverträge oder Inhaberschuldverschreibungen. Diese sind durch mittelfristige Laufzeiten, regelmäßige Zins- und Tilgungszahlungen, eine erstrangige Besicherung am gesamten Vermögen des finanzierten Unternehmens sowie eine risikoadäquate Festverzinsung gekennzeichnet. Um die Kreditwürdigkeit abzusichern, gibt es umfangreiche Garantien. Außerdem werden Auflagen vereinbart, sogenannte Covenants, um die Entwicklung des Unternehmens zu kontrollieren. Nichterfüllung kann Strafzinsen, zusätzliche Gebühren oder Kündigungsrechte zur Folge haben. Unternehmen sollten diese Klauseln genau verstehen, da sie weitreichende Konsequenzen haben können. Hierfür sind erfahrene Berater unverzichtbar. Typischerweise werden sämtliche Unternehmenswerte erstrangig besichert. Dies kann die Sicherungsabtretung sämtlicher Forderungen und Unternehmensgegenstände sowie Verpfändung sämtlicher Konten, IP-Rechte und aller Geschäftsanteile am Unternehmen selbst oder solcher, die das Unternehmen an Tochter-gesellschaften hält, umfassen. Ferner wird sich der Venture Debt-Provider sein Risiko regelmäßig durch die Gewährung einer Option zum Bezug von Geschäftsanteilen
(Anteilsbezugsrecht oder Warrant) zu einem festgelegten Preis (Ausübungspreis) oder durch eine virtuelle Beteiligung (Equity Kicker) vergüten lassen. Die Verwässerung der Anteils- und Kontrollrechte der Gesellschafter durch den Warrant liegt bei etwa 1% bezogen auf das Stammkapital, während ein Venture Capital-Investor bei gleicher Finanzierungshöhe regelmäßig eine mindestens zehnfache Verwässerung verursacht.

Ist Venture Debt teurer oder günstiger als Venture Equity?

Vom Prinzip her müsste Venture Debt unter sonst gleichen Bedingungen günstiger sein als Eigenkapital, da es im Härtefall vorrangig vor den Eigenkapitalrückgewähransprüchen der Gesellschafter, also des Eigenkapitals, zurückzuzahlen ist. Damit müssten eigentlich die Gesellschafter stets eine Risikoprämie erhalten, die das Eigenkapital teurer macht als das Fremdkapital. Aber ist das immer zutreffend? Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Venture Debt-Provider konstante, höhere einstellige bis niedrige zweistellige Zinsen verlangen, während die Erwartungshaltung mancher Gesellschafter von Start-ups in den Boomjahren bei einer jährlichen Verdopplung des eingesetzten Kapitals lag. In Zeiten erheblicher Einbrüche des Eigenkapitalwerts hat sich Venture Debt dagegen als teurer oder – je nach Sichtweise – stabiler gezeigt.

Ist Venture Debt ein Finanzierungsinstrument in Krisenzeiten?

Hier ist zu unterscheiden zwischen der Unternehmenskrise und allgemeinen Dürreperioden. Die Aufnahme von Fremdkapital in Zeiten der Finanzknappheit kann insbesondere durch die im Regelfall nicht nachrangigen Zins- und Rückzahlungsforderungen die Unternehmenskrise sogar verschärfen, wenn das erhaltene Kapital ausgegeben wird und mangels Wertschöpfung eine Überschuldung eintritt. Venture Debt ist aufgrund der Cashflow-Belastung also keine Finanzierungsform für Unternehmen in Schwierigkeiten. Gleichzeitig kann es aber für an sich gesunde Start-ups gerade in Zeiten zurückhaltender (Eigenkapital-)Investoren eine attraktive
Finanzierungsform darstellen: Ist nämlich aufgrund gesunkener oder niedriger Markt-bewertung mittelfristig mit einem erheblichen Aufschwung in der Unternehmensbewertung zu rechnen, kann Fremdkapital in Relation günstiger werden. Gerade in turbulenten Zeiten kann es daher sinnvoll sein, Venture Debt aufzunehmen, sofern es die Eigenkapitaldecke zulässt. Vor diesem Hintergrund kann Venture Debt ein probates Finanzierungsinstrument sein, um den Zeitraum bis zur nächsten Finanzierungsrunde zu überbrücken beziehungsweise zu strecken und so die nächste Unternehmensbewertung auf einen Zeitpunkt zu verlagern, in dem die Konditionen für Eigenkapitalfinanzierungen aus Sicht der Unternehmen wieder attraktiver geworden sind.

Mit welchen Besonderheiten ist aktuell zu rechnen?

Auch Venture Debt-Provider reagieren auf die aktuelle Marktsituation. Dies zeigt sich unter anderem in höheren Zins- (zunehmend variable Zinssätze orientiert am Euribor-Leitzins) und Gebührensätzen. Ferner lässt sich eine Verschärfung der Warrant- beziehungsweise Equity Kicker-Konditionen erkennen: Während der Wert des Warrants vor zwei Jahren oftmals zwischen 8% und 12% des Finanzierungsbetrags lag, sieht man derzeit zunehmend Werte von 12% und darüber. Mit dem Argument, dass die Unternehmensbewertungen in den letzten Jahren zu hoch angesetzt worden seien, wird zudem vereinzelt für das Anteilsbezugsrecht ein Ausübungspreis gefordert, der deutlich unter der letzten Bewertung des Unternehmens liegt. Dies kann zu einer deutlich höheren ökonomischen Verwässerung der Gesellschafter führen.

Wie sollten sich Wachstumsunternehmen nun verhalten?

Ob Venture Debt oder Venture Capital im Ergebnis das attraktivere Finanzierungsinstrument ist, lässt sich pauschal nicht beantworten, sondern hängt stark vom Einzelfall ab. Für die Aufnahmen von Venture Debt erscheint es essenziell, dass das Unternehmen neben voll entwickelter Kerntechnologie (jedenfalls bei technologiebasierten Wachstumsunternehmen) und einem tragfähigen und skalierbaren Geschäftsmodell über eine geordnete Zahlen- und Datenbasis mit einer qualitativen Ertrags- und Cashflow-Planung verfügt. Wichtig ist, dass das Start-up bereits einen gewissen Reifegrad erreicht hat und diesen nach außen darstellen kann.

Fazit

In jedem Fall empfiehlt es sich, reichlich Energie in die Auswahl des „richtigen“ Venture Debt-Providers zu investieren. Wenngleich sich – wie oben beschrieben – eine Tendenz hin zu einer Verteuerung von Venture Debt erkennen lässt, zeigt die Erfahrung, dass ein Venture Debt-Provider je nach Einzelfall sehr unterschiedliche Finanzierungskonditionen zur Verfügung stellt. Dasselbe Unternehmen kann daher von verschiedenen Venture Debt-Providern deutlich abweichende Konditionen erhalten. Umso wichtiger ist es, zentrale ökonomische Punkte so detailliert wie möglich bereits in den Term Sheet-Verhandlungen zu konkretisieren und diese schon im Vorfeld strategisch, rechtlich und steuerlich prüfen zu lassen. Für eine erfolgreiche Verhandlung der Venture Debt-Konditionen empfiehlt es sich zudem, frühzeitig professionelle Finanzprozesse und Strukturen zu implementieren sowie detaillierte und aussagekräftige Unterlagen wie Pitch Deck, Ertrags- und Liquiditätsplanung, BWAs et cetera sowie sämtliche Unterlagen für eine Due Diligence vorzubereiten.