Der Klimawandel schreitet voran; Katastrophen, Dürreperioden, Feuer und Leid rücken immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Doch werden aktuell auch wirklich die richtigen Stellhebel betätigt?
VC Magazin: Sie haben die letzten sechs Jahre die Geschicke der BayWa r.e. Energy Ventures geleitet, sind dort seit August noch in beratender Funktion tätig. Was treibt Sie persönlich beim Thema Klimawandel um?
Seitz: Wir stoppen den Klimawandel nicht, wir kaufen lediglich Zeit. Der Weltklimarat 2023 schreibt: „Das Tempo und der Umfang der bisherigen Maßnahmen und Pläne sind unzureichend.” Das Schlüsselwort ist in meinen Augen Climate Adaptation, also die Anpassung unserer Lebensweise an die veränderten Klimabedingungen bei gleichzeitiger Reduzierung der schädlichen Emission. Wie viel Zeit uns bleibt, ist schwer zu beziffern, aber klar ist: Findet in dieser Zeit keine Anpassung statt, waren die Mühen vergebens.
VC Magazin: Wird in Ihren Augen genug für die Eindämmung des Klimawandels getan?
Seitz: Die weltweiten Investitionen inklusive der Ausgaben für den Inflation Reduction Act haben seit der COVID-19-Pandemie Höchststände erreicht. Das Paradigma lautet „Wir stoppen den Klimawandel“, doch das erscheint mir ein wenig naiv in Anbetracht der zunehmenden Erderwärmung und der vielen Naturkatastrophen und damit verbundenen menschlichen Tragödien. Manchmal kommt es mir vor, als gäbe es ein Denkverbot. Uns mangelt es leider am Mut, der Wahrheit und der Realität ins Gesicht zu blicken.
VC Magazin: Woran liegt es, dass uns das so schwerfällt?
Seitz: Mir erscheint es so, als komme eine Änderung der Denkrichtung und ein Anerkennen der Realität mental einem Eingeständnis des Scheiterns gleich. Das ist aber nicht richtig. Wir benötigen die Zeit, welche wir durch Investitionen erkaufen, dringend zur Anpassung! Jedoch muss beides – die Reduktion von Emissionen und die Anpassung an den Klimawandel – parallel erfolgen. Ich glaube, dass wir nur so dieser enormen Herausforderung gewachsen sind.
VC Magazin: Das klingt sehr pessimistisch!
Seitz: Die Bemühungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes sind von großer Bedeutung, das steht außer Frage. Doch wir denken zu engstirnig. Im Englischen gibt es das Wort Trajectory; vielleicht könnte man es als Pfadabhängigkeit übersetzen. Diese pfadabhängige Denkweise prägt unser Handeln. Die Realität ist doch: Wir stoppen den Klimawandel nicht, vor allem nicht morgen. Wir verringern vielleicht den Temperaturanstieg, aber in erster Linie kaufen wir Zeit. Und noch einmal: Bleibt diese Zeit ungenutzt, so waren die Bemühungen umsonst.
VC Magazin: Was sollten wir verändern?
Seitz: Wir müssen mehr über mögliche Anpassungen an den Klimawandel sprechen, über Climate Adaptation. Das ist vermutlich die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte. Eine aktive Gestaltung findet heute aber noch nicht statt.
VC Magazin: Und was heißt das konkret?
Seitz: Wir müssen Lösungen für die künftigen Formen der Bewässerung von austrocknenden Flächen im großen Stil entwickeln und umsetzen. Bodenerosion bedeutet zunehmende Verwüstung, denn trockene Böden können auch Wasser nicht mehr ausreichend aufnehmen. Auch müssen wir über wärmereflektierende Fassaden und Bodenbeläge sprechen. Ein großes Thema ist darüber hinaus die effizientere Planung von Städten, Straßen, Verkehrswegen und Versorgungssystemen inklusive der Ernährungssicherheit. Weiterhin spielt der Umbau von Wäldern eine wichtige Rolle. In allen genannten Teilbereichen mag es heute Inselbestrebungen geben, aber das reicht nicht aus. Es gibt kein schlüssiges Ökosystem aus Unternehmen, Investoren und weiteren Stakeholdern aus Politik, Forschungsreinrichtungen, Universitäten et cetera.
VC Magazin: In welchen Teilbereichen besteht besonders hoher Bedarf, was sind die zu adressierenden Geschäftsmodelle im Bereich der Climate Adaptation?
Seitz: Hoher Bedarf und damit verbunden große Chancen für Investoren bestehen in den Materialwissenschaften, wenn es um hochgradig wärmereflektierende Materialien geht, um Bewässerungssysteme aus Entsalzungsanlagen und unter anderem um die ober- und unterirdische Verrohrung und damit um das große Thema Transport und Verfügbarkeit von Wasser. Weiterhin fehlt es an unternehmerischer Initiative für Lösungen gegen Wetterextreme wie Starkregen und lange Dürreperioden.
VC Magazin: Wie ordnen Sie die Chancen für Investoren in diesen Bereichen ein?
Seitz: Die Chancen sind enorm, denn das Problem ist enorm. Es ist auch nicht abstrakt oder in weiter Ferne: Die Probleme des Klimawandels sind konkret und finden heute statt! Investitionen in die Anpassung daran sind derzeit der große Blind Spot. Das wird nicht so bleiben – ich werde immer häufiger zum Thema Climate Adaptation angesprochen und berate in der Fondsausrichtung dazu.
VC Magazin: Wer kann das finanzieren und steuern?
Seitz: Das ist nur mit einer Erweiterung des Geschäftsmodells von sämtlichen Gruppen von Climatetech-Investoren zu erreichen, und damit meine ich wirklich jeden in der Wertschöpfungskette – von Business Angels über Venture Capitalisten und Private Equity-Investoren bis hin zu Infrastruktur und staatlichem Kapital. Beim letzten Climate-Gipfel, COP 27, wurde erstmals über die Idee eines Großfonds – „Loss and Damage Fund for Vulnerable Countries” – gesprochen, um unter anderem Infrastrukturprojekte etwa in Afrika zu finanzieren, welche die Schäden des Klimawandels zumindest zum Teil kompensieren. Das wäre ein wichtiges Zeichen, aber bei Weitem nicht ausreichend. Es ist ein kollektives Thema, das aktuell noch zu sehr verdrängt wird. Wir haben fast alle noch die Scheuklappen auf.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Über den Interviewpartner:
Ulrich Seitz verantwortete die letzten sechs Jahre die Geschicke der Climatetech-Investment-Firma BayWa r.e. Energy Ventures, die er seit August 2023 neben anderen Investoren zum Thema Climate Adaptation berät. Zuvor war Seitz selbst als Start-up-Unternehmer und -Investor tätig.