Bildnachweis: Keller Schneider.
Für Start-ups kann das geistige Eigentum (IP) über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Dennoch wird die Bedeutung der Absicherung von IP in der Geschäftsentwicklung sowie für den Exit oft unterschätzt. Eine frühzeitige IP Due Diligence deckt entscheidende Risiken sowie Potenziale in Bezug auf Patente, Marken und Geschäftsgeheimnisse auf. Diese Erkenntnisse spielen eine zentrale Rolle bei der Bewertung und Kapitalbeschaffung.
Warum ist die Absicherung des eigenen geistigen Eigentums so wichtig? Die Bedeutung geht über den reinen Schutz von Ideen hinaus. IP kann das Start-up vor Wettbewerbern abschirmen, den Marktwert erheblich steigern (oder verringern), Einnahmequellen schaffen und Investoren anlocken. Doch wie gewährleisten Start-ups, dass deren geistiges Eigentum optimal abgesichert ist und umfassend genutzt werden kann? Dies geht nur über eine systematische IP Due Diligence.
IP Due Diligence – Vorsorge und Ausrichtung
Eine IP Due Diligence analysiert den Status der Schutzrechte in den Kerngeschäftsfeldern. Sind wichtige Elemente geschützt? Wie sicher sind die Patente und können diese gegebenenfalls umgangen werden? Drohen Verletzungen von Patenten Dritter? Das Asset IP wird also umfassend bewertet und dokumentiert, und potenzielle Risiken und drohende Rechtsstreitigkeiten werden aufgedeckt. Zudem werden Möglichkeiten zur Monetarisierung der IP identifiziert. Dies kann zusätzliche Einnahmequellen erschließen, zum Beispiel durch die Lizenzierung von Technologien, den Verkauf von Patenten oder die geschickte Nutzung von Markenrechten. Die IP Due Diligence ermöglicht somit neben dem Schutz eine optimale Nutzung des geistigen Eigentums und fördert das Wachstum des Start-ups. Insgesamt stärkt sie das Vertrauen potenzieller Investoren, erleichtert Verhandlungen und steigert den Wert des Start-ups – erstaunlich, dass sie trotz immenser Risiken und hoher Potenziale nach wie vor einen untergeordneten Stellenwert einnimmt.
Wenn die Vorsorge ausbleibt
In der Euphorie des Unternehmensaufbaus kommt eines häufig zu kurz: die Vorsorge. Folgende drei Szenarien zeigen drastisch auf, welche Konsequenzen ohne frühzeitige IP Due Diligence drohen können.
• Verletzung von Drittpatenten: Ein Start-up verzichtet auf eine frühe FTO-Analyse und übersieht daher ein relevantes Drittpatent, das die Kernfunktionalität eines neuen medizinischen Geräts betrifft. Dies wurde im Rahmen der FTO-Analyse eines potenziellen Investors aufgedeckt, der daraufhin nicht investierte.
• Fehlender Schutz eines wesentlichen Erfolgsfaktors: Die Entwicklung eines Start-ups wurde nicht systematisch erfasst, entsprechende Schutzmöglichkeiten nicht geprüft. Ein entscheidendes Merkmal eines Verbindungselements zwischen Bauelementen eines neuartigen modularen Fertighaussystems wurde daher nicht zum Patent angemeldet. Das Merkmal wäre ein Wettbewerbsvorteil gewesen – mangels Patentschutz wurde jedoch keine Exklusivität erlangt, was den Wert des Start-ups deutlich reduzierte.
• Fehlende Markt- und Konkurrenzanalyse: Ein Start-up im Bereich Fitness hat sich anstelle einer umfassenden Markt- und Wettbewerbsanalyse auf das Wissen der Gründer verlassen. Dabei wurde ein Konkurrent übersehen, der in der Produktentwicklung einen zeitlichen Vorsprung hatte. Das Start-up konnte den Rückstand nicht aufholen und musste seine Aktivitäten einstellen.
Best Practices für eine effektive IP Due Diligence
Eine klare IP-Strategie ist offensichtlich ein zentraler Schlüssel zum Erfolg. Insofern sollte die IP Due Diligence nicht erst durchgeführt werden, wenn eine Transaktion unmittelbar ansteht, sondern so früh wie möglich. Idealerweise wird sie bereits in den Anfängen des Unternehmens
als fortlaufender Prozess etabliert, um ständig neue IP-Assets zu identifizieren und zu bewerten. Die Dokumentation spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es ist wichtig, alle relevanten IP-Dokumente und Verträge sorgfältig aufzubewahren und leicht zugänglich zu halten. Dies gewährleistet eine transparente und nachvollziehbare Verwaltung des geistigen Eigentums.
Viele Methoden, viel zu tun
Bei einer IP Due Diligence für Start-ups kommen vielfältige Methoden und Herangehensweisen zum Einsatz, um eine gründliche Prüfung und Bewertung des geistigen Eigentums sicherzustellen. Diese spezifischen Methoden variieren abhängig von den individuellen Gegebenheiten und Zielen des Due Diligence-Prozesses, umfassen jedoch im Allgemeinen folgende Ansätze:
• Analyse des gesamten geistigen Eigentumsportfolios des Unternehmens, um vorhandene IP-Assets und deren Integration in die Geschäftsstrategie festzustellen.
• Detaillierte Überprüfung des geschützten geistigen Eigentums, einschließlich Patenten, Marken, Urheberrechten, Lizenzvereinbarungen, Verträgen und Geschäftsgeheimnissen, und Abgleich mit dem vorhandenen geistigen Eigentum zur Ermittlung der rechtlichen Stärke und des Status der Schutzrechte und zur Identifikation von Lücken im Schutzrechtsportfolio.
• Marktanalyse, um die Wettbewerbsfähigkeit und Relevanz des geistigen Eigentums im Marktumfeld zu bewerten.
• Analyse der Konkurrenz, um mögliche Verletzungen oder Wettbewerbsvorteile zu identifizieren.
• Prüfung von Verträgen (etwa Lizenzvereinbarungen, Joint Ventures) auf Übereinstimmung mit den strategischen Zielen des Start-ups.
• Identifikation potenzieller Risiken im Zusammenhang mit geistigem Eigentum, einschließlich laufender oder möglicher Rechtsstreitigkeiten, Verletzungen und unzureichender Schutz-maßnahmen.
• Schätzung des finanziellen Werts des geistigen Eigentums zur Bewertung und möglichen Monetarisierung.
Die FTO-Analyse ist das Herzstück
Die Freedom to Operate (FTO)-Analyse ist ein zentraler Bestandteil der IP Due Diligence. Sie stellt sicher, dass das geistige Eigentum des Unternehmens keine bestehenden Rechte Dritter verletzt und das Unternehmen keinen rechtlichen Risiken ausgesetzt ist. Eine FTO-Analyse ist insbesondere in den folgenden Fällen angezeigt:
• Frühzeitige Planung: Bereits bei der Entwicklung der Geschäftsidee wird sichergestellt, dass keine bestehenden geistigen Eigentumsrechte verletzt werden und gegebenenfalls notwendige Lizenzen oder Freistellungen erworben werden können.
• IP-Portfolio-Analyse: Im Rahmen der Bewertung des IP-Portfolios des Start-ups wird abgesichert, dass die Nutzung der vorhandenen IP-Rechte nicht aufgrund von Verletzungen von Drittrechten gefährdet ist.
• Markteintritt und Expansion: Rechtliche Hindernisse oder Risiken werden aufgedeckt.
• Lizenzverhandlungen: Sollen Lizenzen für geistiges Eigentum erworben oder vergeben werden, kann die FTO-Analyse helfen, die Bedingungen der Lizenzvereinbarungen zu gestalten und sicherzustellen, dass keine Rechte Dritter verletzt werden.
• Mergers & Acquisitions (M&A): Bei einer Übernahme oder Fusion können eventuelle Risiken im Zusammenhang mit dem geistigen Eigentum des Zielunternehmens identifiziert und bewertet werden.
• Rechtsstreitigkeiten und Haftung: Rechtliche Risiken werden minimiert und Verteidigungs-strategien für das geistige Eigentum betreffende Streitigkeiten entwickelt.
Durch die Integration der FTO-Analyse in den gesamten IP Due Diligence-Prozess erlangt das Start-up ein umfassendes Verständnis der aktuellen rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit seinem geistigen Eigentum. Dies ist entscheidend, um das Unternehmen vor teuren rechtlichen Auseinandersetzungen zu schützen und die Geschäftsstrategie stets auf eine solide rechtliche Grundlage zu stellen.
Fazit
Die IP Due Diligence ist das „große Blutbild“ für Start-ups, eine umfassende Vorsorgeuntersuchung für das geistige Eigentum. Sie zeigt nicht nur den aktuellen Zustand, sondern auch die Wege zur Stärkung und zum Wachstum auf. Ähnlich wie bei einem Gesundheitscheck können das rechtzeitige Erkennen von Herausforderungen und die Pflege des geistigen Eigentums dazu beitragen, mögliche „Krankheiten“ zu verhindern und die „Gesundheit“ des Unternehmens zu fördern – denn in der Welt der Start-ups ist Vorsorge nicht nur der beste Weg zur Sicherung des Erfolgs, sondern auch der Schlüssel zur langfristigen Vitalität und Prosperität.
Zum Autor:
Mirko Schade, Patentanwalt und MP der Keller Schneider Patent- und Markenanwälte, ist fasziniert von den Möglichkeiten der IP Due Diligence für Start-ups. Er ist Brückenbauer zwischen Recht und Wirtschaft.