Bildnachweis: Osborne Clarke.
In den letzten Monaten zeigte sich ein bemerkenswerter Einbruch der Unternehmensbewertungen im Venture Capital-Markt, durch den bei Verhandlungen mit Investoren Liquidationspräferenzen wieder vermehrt in den Fokus rückten. Einerseits dienen sie, wie selbst zu Hochzeiten des Markts, als zentraler Schutzmechanismus zur Sicherung des Investments bei Absinken der Bewertung des Start-ups. Andererseits – und das ist neu – werden Liquidationspräferenzen mittlerweile vermehrt als Hebel eingesetzt, um eine aus Sicht des Investors eigentlich nicht gerechtfertigte Bewertung zu stützen.
Die Bestandsgesellschafter versuchen mit allen Mitteln eine sogenannte Downround zu vermeiden. Dafür sind sie bereit, den Investor auch im Erfolgsfall deutlich überproportional an der Verteilung der Exit-Erlöse zu beteiligen. Doch dieses Spiel kann sehr teuer werden – gerade deshalb muss das Wechselspiel aus Unternehmensbewertung sowie vereinbarter Liquidationspräferenz im Detail durchdacht und verstanden werden.
Was sind Liquidationspräferenzen?
Liquidationspräferenzen sind vertragliche Regelungen, die eine vorrangige Verteilung der Exit-Erlöse zugunsten eines Investors zum Inhalt haben. Die Höhe des so zu verteilenden Liquidationspräferenzbetrags wird typischerweise anhand des getätigten Investments definiert. Einfache Liquidationspräferenzen geben den jeweiligen Investoren ein Recht auf vorrangige Erlösbeteiligung in Höhe ihres Investments. Liquidationspräferenzen mit Multiples garantieren die vorrangige Verteilung eines bestimmten Vielfachen des Investments. Verzinste Liquidationspräferenzen garantieren eine vorrangige Verteilung des Investments plus Zinsen. Zu den Hochzeiten des Wagniskapitalmarkts waren sehr häufig einfache, unverzinste und anrechenbare Liquidationspräferenzen anzutreffen. Dieses Bild hat sich mit dem Abschwung des Markts stark verändert.
Anrechenbare und nicht anrechenbare Liquidationspräferenzen
Eine wesentliche Stellschraube bei der Verhandlung von Liquidationspräferenzen ist die Frage der Anrechenbarkeit. Die Unterscheidung zwischen nicht anrechenbarer und anrechenbarer Liquidationspräferenz hat weitreichende wirtschaftliche Folgen. Bei jeder Form der Liquidationspräferenz erhält der Investor zunächst vorrangig vor den übrigen Gesellschaftern den Liquidationspräferenzbetrag. Der im Anschluss verbleibende zu verteilende Erlös wird sodann zwischen sämtlichen Gesellschaftern, einschließlich des Investors, pro rata im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Beteiligung am Stammkapital des Start-ups verteilt. Bei der anrechenbaren Liquidationspräferenz wird der dem Investor vorrangig zugeteilte Liquidationspräferenzbetrag bei der Pro-rata-Verteilung unter den Gesellschaftern angerechnet. Bei der nicht anrechenbaren Liquidationspräferenz findet eine solche Anrechnung nicht statt, und der Investor partizipiert in voller Höhe an der Erlösverteilung des nach Verteilung des Liquidationspräferenzbetrags verbleibenden Erlöses.
Signifikante Folgen
Die wirtschaftlichen Folgen sind signifikant. Eine einfache, anrechenbare Liquidationspräferenz ist eine reine Downside Protection, die darauf abzielt, dem Investor bei Absinken der Bewertung sein Investment zurückzuzahlen. Steigt die Bewertung nach dem Einstieg des Investors, bleibt die einfache, anrechenbare Liquidationspräferenz ohne Wirkung: Denn der Investor erhält immer das jeweils Höhere von seinem Investmentbetrag und seinem Pro-rata-Anteil an den Exit-Erlösen. Die nicht anrechenbare Liquidationspräferenz stellt den Investor hingegen unabhängig von der Entwicklung des Start-ups in jedem Fall besser als die übrigen Gesellschafter. Der Liquidationspräferenzbetrag wird in diesen Fällen ähnlich einem Darlehen behandelt, das vor der Verteilung der Erlöse unter den Gesellschaftern vorrangig bedient wird.
Multiples und Zinsen – Mindestrendite für den Investor
Multiples und verzinste Liquidationspräferenzen sollen dem Investor eine bestimmte Mindestrendite garantieren. Dies führt zu einer erheblichen Risikoverlagerung zulasten der Bestandsgesellschafter. Um die durch Multiples beziehungsweise Zinsen garantierte Mindestrendite zu sichern, darf die Bewertung des gesamten Unternehmens nur nicht unter die Summe des Investments des Investors plus Multiple beziehungsweise Zinsen fallen. Gleichzeitig partizipiert der Investor durch seine Beteiligung am Eigenkapital der Gesellschaft voll an der zukünftigen Wertsteigerung des Unternehmens.
Liquidationspräferenzen als Bewertungshebel
Sowohl nicht anrechenbare Präferenzen als auch Multiples und verzinste Liquidationspräferenzen werden häufig ins Spiel gebracht, wenn ein Investor die aufgerufene Bewertung nicht akzeptieren möchte. Auf Gründer und Bestandsgesellschafter wirken diese Regelungen verlockend. Nach außen wird oft nur die Bewertung kommuniziert – und wer möchte schon dem Markt kommunizieren, dass sein Unternehmen seit der letzten Finanzierungsrunde an Wert verloren hat? Auch kommen etwaige Verwässerungsschutzklauseln nur bei einem tatsächlichen Absinken der Bewertung des Start-ups zum Tragen. Verkannt wird hierbei allerdings oft, dass diese Mechanismen nichts anderes sind als Bewertungshebel, die dem Investor nicht nur im Falle eines (weiteren) Absinkens der Bewertung eine Downside Protection gewähren, sondern darüber hinaus eine (fast) garantierte Upside. Die Bestandsgesellschafter andererseits werden – selbst bei einer Steigerung der Bewertung – bis zum Exit-Fall nicht mehr entsprechend ihrer Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt. Selbst in einem moderaten Szenario, in dem der Investor eine zweifache anrechenbare Liquidationspräferenz fordert, bedeutet dies, dass die Bestandsgesellschafter nur dann entsprechend ihrer Beteiligung am Stammkapital an den Exit-Erlösen beteiligt werden, wenn sich die Bewertung des Start-ups zwischen dem Einstieg des Investors und dem Exit verdoppelt.
Fazit
Bei der Nutzung von Liquidationspräferenzen als Bewertungshebeln ist somit Vorsicht geboten. Dies gilt umso mehr, da die Investoren einer jeden Runde typischerweise ihre eigenen Liquidationspräferenzen nicht schlechter ausgestalten als die Präferenzen der vorangegangenen Runden. Aus Sicht der Bestandsgesellschafter bedeutet dies, dass sie, wenn sie einmal eine hohe Liquidationspräferenz gewährt haben, damit rechnen müssen, dass der Investor der Folgefinanzierungsrunde seine Präferenz mindestens mit den gleichen Vorzügen ausgestaltet. Dadurch addiert sich die Last der Liquidationspräferenzen auf den Schultern der Gesellschafter, deren Geschäftsanteile nicht mit Präferenzen ausgestaltet sind. Aber auch für Investoren, die für sich selbst eine hohe Liquidationspräferenz verhandeln, kann sich die vermeintlich clever verhandelte Präferenz schnell zum Bumerang entwickeln: Denn oft werden Liquidationspräferenzen nach dem sogenannten Last in, First out-Prinzip strukturiert. Der jeweils zuletzt investierende Investor erhält seinen Liquidations-präferenzbetrag vorrangig vor allen anderen Gesellschaftern – einschließlich der Investoren vorangegangener Finanzierungsrunden. Dadurch kommt derjenige Investor, der sich in einer frühen Finanzierungsrunde eine hohe Liquidationspräferenz gesichert hat, nur dann in deren Genuss, wenn zuvor die höherrangigen Präferenzen der Folgefinanzierungsrunden bedient werden können. Faktisch bezahlt also der erste Investor die Liquidationspräferenzen der Investoren der Folgefinanzierungsrunden.
Über die Autoren:
Philipp Niedermeyer ist Rechtsanwalt im Bereich Venture Capital im Berliner Büro von Osborne Clarke. Er berät nationale und internationale Investoren, Fonds und technologiefokussierte Wachstumsunternehmen bei Venture Capital- und M&A-Transaktionen von der Gründung bis zum Exit.
Till-Manuel Saur ist Rechtsanwalt und Partner im Berliner Büro von Osborne Clarke. Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt in der Beratung im Rahmen von Eigenkapital-, Wandeldarlehen- und (Venture) Debt-Finanzierungsrunden sowie Exit-Transaktionen von Venture Capital-finanzierten Unternehmen.