Bildnachweis: DTCF, Earlybird, BVK, Project A.
Vor zwei Jahren bekam so gut wie jedes junge Start-up eine Finanzierung. Inzwischen schauen Investoren genauer hin. Trotz allgemeiner Zurückhaltung ist für die Topideen aber immer noch genug Geld vorhanden.
Start-up-Pleiten, geplatzte Finanzierungsrunden, Entlassungen von Mitarbeitern – an Negativschlagzeilen über junge, dynamische Unternehmen herrschte zuletzt wahrlich kein Mangel. Von außen betrachtet fühlen sich nun all diejenigen bestätigt, die dem Gründungsgeschehen immer schon skeptisch gegenüberstanden. Wichtiger als das Bauchgefühl der Außenstehenden ist aber die schlechte Stimmung in der Gründerszene selbst. Der von der Beratungsgesellschaft PwC erstellte Startup Monitor 2023 kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Geschäftsklima der Branche auf den bislang niedrigsten gemessenen Wert verschlechtert hat. Und auch die generelle Einschätzung des Start-up-Ökosystems fällt deutlich negativer aus als in den Vorjahren: Nur noch 58% der Befragten geben ihm gute Noten – zehn Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Eine manifeste Krise des Start-ups-Standorts Deutschland also? Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die Lage nicht überall gleich ist. Start-ups in der Frühphase gelangen meist leichter an Geld als solche, die vor einer Wachstumsfinanzierung stehen. Viele Frühphasenfonds haben im Rekordjahr 2021 neue Fonds geschlossen, und diese sind noch gut gefüllt. Ihre Manager stehen unter Anlagedruck und werden noch viel Kapital in jungen Start-ups unterbringen müssen. Allerdings lassen sich zwei Trends erkennen: Es wird langsamer investiert, und es wird genauer hingesehen.
Run Rate und Folgefinanhzierungen gewinnen an Bedeutung
„Wir sehen immer noch eine große Anzahl hochqualitativer Deals in der Frühphase. Es gibt auch weiterhin sehr gute Gründer und Gründerinnen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und sehr gute Themen adressieren“, sagt Dr. Frédéric du Bois-Reymond, Partner
beim Frühphasenfonds Earlybird und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Beteiligungskapital. Man spüre momentan eine gewisse Zurückhaltung, gehe aber davon aus, dass wegen des Anlagedrucks in der nächsten Zeit wieder mehr investiert werde. Stärker als sonst beachten die Investoren aktuell, wie lange das vorhandene Kapital reichen wird. Nicht selten sind sie gezwungen, die Run Rate, also die Zeit, bis das zur Verfügung stehende Geld aufgebraucht ist, zu strecken. 18 bis 24 Monate sind heute durchaus üblich, manchmal ist die Run Rate auch länger. Ob das funktioniert und wie lange, hängt wesentlich von dem jeweiligen Geschäftsmodell ab. Ein Software-Start-up braucht in der frühen Phase sicherlich weniger Kapital als ein Deeptech-Unternehmen mit seinen nötigen technischen Anschaffungen. Auch sind bei der Frühphasenfinanzierung im Moment mehr als in guten Zeiten die Anschlussfinanzierungen im Blick: Denn was nützt ein frühes Investment, wenn das junge Unternehmen kaum Chancen hat, in den nächsten Runden Geld einzusammeln? „Man muss als Investor heute gut abschätzen können, wie wahrscheinlich Folgefinanzierungen sind. Das steht heute viel stärker im Fokus als früher“, sagt Business Angel Matthias Helfrich. Nach seiner Beobachtung steigen Venture Capital-Fonds in schwierigen Zeiten später in Finanzierungen ein– das heißt auch, dass es stärker zur Aufgabe der rund 10.000 Business Angels in Deutschland wird, den jungen Unternehmen unter die Arme zu greifen. Aber diese privaten Investoren sind anders als Wagniskapitalgeber nicht unter Anlagedruck, und viele fragen sich wohl auch, ob man sein Geld nicht lieber länger für vielleicht 4% Zinsen auf dem Tagesgeldkonto liegen lässt. Die Politik hat die wichtige Rolle der Business Angel für die Frühphasenfinanzierung erkannt und auch eine Reihe von Anreizen geschaffen – etwa das Förderprogramm Invest, das steuerfreie Zuschüsse zu ihren Investments gibt. Helfrich bringt ein weiteres Instrument ins Gespräch: einen Sekundärmarkt für Business Angels. Bislang sind sie mit ihren Beteiligungen meist lange in einem Start-up „gefangen“. „Man müsste die Möglichkeit schaffen, dass Business Angels ihre Anteile früher veräußern können. Es könnten öffentliche Mittel eingesetzt werden, um einen Secondary-Fonds für Business Angels zu schaffen“, sagt er. Dann könnten Business Angels das wieder frei gewordene Kapital für neue Investments in junge Unternehmen der Frühphase einsetzen.
Qualität schafft Resilienz
In schwierigen Zeiten erwägen die Investoren genauer, wem sie ihr Geld geben. Nicht ganz überzeugende Geschäftsmodelle haben es daher aktuell zunehmend schwerer, und solche, die vor zwei Jahren noch Geld bekommen hatten, obwohl sie nur geringe Erfolgserwartungen weckten, dürften in der nächsten Zeit gar nichts mehr einsammeln. Die vielversprechenden Start-ups bekommen aber weiterhin in der Frühphase Kapital und können sich weiterentwickeln. Verändert haben sich aber auch die Branchen, die von Investoren derzeit als attraktiv betrachtet werden – und zwar über alle Finanzierungsphasen hinweg. Das EY Startup-Barometer hält für das erste Halbjahr 2023 fest, dass jede fünfte Finanzierungsrunde in ein Start-up mit Nachhaltigkeitsbezug ging. 2022 hatte der Anteil erst bei 17% gelegen. „Meine Wahrnehmung ist, dass derzeit kapitaleffiziente Geschäftsideen gefragt sind, zum Beispiel Software und Digitalideen“, sagt Dr. Florian Heinemann, Partner beim Frühphasenfinanzierer Project A, und fügt hinzu: „Eine Ausnahme macht hier Climatetech, das hat weiterhin Rückenwind.“ Einige Investoren sehen auch einen Rückgang des Interesses an E-Mobilitäts-Themen, das noch vor ein paar Jahren sehr angesagt war. Auch im Bausektor geht das Finanzierungsinteresse zurück, was vor allem mit der aktuell schwachen Baukonjunktur in Deutschland zu tun haben mag.
Stärkung des Fondsstandorts Deutschland
Schrecken die schlechten Nachrichten junge Menschen mit guten Geschäftsideen vom Gründen ab? Ein erster Fortschrittsbericht zur Mitte 2022 ins Leben gerufenen Start-up-Strategie der Bundesregierung hält immerhin fest, dass im vorigen Jahr 18% weniger Start-ups gegründet wurden als 2021. Zahlen für 2023 gibt es zwar noch nicht, aber Experten sehen immerhin schon wieder einen leichten Trend nach oben. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es potenziellen Gründern schwererfällt, sich selbstständig zu machen, wenn das Scheitern einer Geschäftsidee wie ein Damoklesschwert über ihnen hängt – zumal man hierzulande ohnehin weniger risikofreudig ist als etwa in angelsächsischen Ländern. Da können Meldungen über fehlendes Geld für die frühe Finanzierung abschrecken. Eine solche Entwicklung muss verhindert werden, da sind sich die meisten einig. Für du Bois-Reymond ist klar, was zu tun ist: „Der Fondsstandort Deutschland muss gestärkt werden“, sagt der im BVK für den Bereich Venture Capital verantwortliche Vorstand. Zwar gebe es schon viele Frühphaseninvestoren in Deutschland, aber es seien immer noch nicht genug. Man müsse jungen Gründern signalisieren, dass finanzielle Mittel da seien, um eine gute Idee auch zu finanzieren. Die Politik hat die Notwendigkeit eines guten Gründerökosystems erkannt und dafür auch schon einiges getan. Der neueste Baustein in ihrer Start-up-Strategie ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz, das bis Jahresende durch den Bundestag gebracht werden soll. Es sieht zum Beispiel Reformen vor, die Start-ups den Gang an die Börse vereinfachen sollen – etwa durch Senkung der Mindestmarktkapitalisierung. „Ein funktionierender IPO-Markt ist sinnvoll: Denn das führt dazu, dass Geld zurück ins System fließt, zum Beispiel an die Investoren von VC-Fonds, die dieses Geld wieder weiteren Fonds zur Verfügung stellen und wo es dann wieder in frühphasige Start-ups investiert werden kann“, sagt Heinemann. Geplant ist in dem neuen Gesetz auch, den Steuerfreibetrag bei der Mitarbeiterbeteiligung zu erhöhen. Schließlich sieht das Gesetz auch vor, dass Mitarbeiter Firmenanteile nun erst deutlich später versteuern müssen. So soll vermieden werden, dass Beschäftigte zusätzlich Teile ihres Lohns ans Finanzamt abführen müssen, obwohl die erhaltenen Firmenanteile noch gar nicht eingelöst wurden.
Eine Lücke füllen
Auch der im Februar dieses Jahres gestartete DeepTech & Climate Fund (DTCF) soll das Start-up-Ökosystem stützen. Mit rein öffentlichen Mitteln sollen junge Unternehmen mit 1 Mio. bis 30 Mio. EUR finanziert werden, die sich in der frühen Wachstumsphase befinden. „Wir füllen eine Lücke“, sagt Geschäftsführerin Dr. Elisabeth Schrey. Der Fonds sucht Start-ups, die über die ersten Hürden gekommen sind, bei denen aber noch ein gewisses technologisches Risiko und Herausforderungen bei der Industrialisierung bestehen. Eine Besonderheit ist die Langfristigkeit des finanziellen Engagements. Die Return-Erwartungen sind nicht an kurzfristige Haltedauern geknüpft. „Es gibt Branchen, die sehr langsam innovieren, sodass für lange Kommerzialisierungszyklen mehr Geld benötigt wird“, sagt Schrey; zum Beispiel B2G-Geschäftsideen oder auch Anlagenbau für eine Wende in der Energieerzeugung. „Neue Produktionstechniken für grüne Technologien haben ein riesiges Potenzial, brauchen aber auch sehr viel Zeit“, so Schrey. In vier Start-ups hat der DTCF mittlerweile investiert. Für die nächsten Jahre ist ein Gesamtinvestitionsvolumen von bis zu 1 Mrd. EUR vorgesehen.
Ungewisse Zukunft
Man wird alle diese Instrumente brauchen. Aber damit ist es noch nicht getan. Landauf, landab klagen Gründer seit Jahren, dass die Bürokratie mit eines ihrer größten Probleme ist. Beispiel: Rekrutierung von Talent. Wie bekommt ein Deeptech-Start-up den dringend benötigten indischen Quantenphysiker nach Deutschland? Er braucht ein Visum, eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Arbeitsgenehmigung, er braucht eine Krankenversicherung – und natürlich eine Wohnung. „Das alles muss auch angegangen werden, denn wir brauchen dringend diese Zuwanderung von hoch qualifizierten Leuten“, sagt du Bois-Reymond. Mit einer konkreten Erwartung tun sich die Experten schwer – nicht zuletzt auch angesichts der vielen Krisen, konjunkturellen Dellen und politischen Wirren. „Frühphasige Fonds sind darauf ausgerichtet, dass sie ein oder zwei Runden anführen; danach müssen die Folge-finanzierungen kommen. Das passiert derzeit aber weniger als sonst. Es wäre wichtig, dass sich die Stimmung in den nächsten Wochen und Monaten fundamental dreht“, findet etwa Heinemann. Dafür gebe es aber noch nicht viele Anzeichen. Du Bois-Reymond ist etwas optimistischer: „Wir haben noch Aufholbedarf, aber alles geht in die richtige Richtung. Wir müssen noch ein paar Hürden beseitigen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. An der Qualität der Gründer mangelt es nicht, sondern eher am Umfeld.“