Bildnachweis: Görg Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB.
Die „goldenen Zeiten“ der Start-up-Szene scheinen vorerst vorbei zu sein. Nicht, dass es an innovativen und Erfolg versprechenden Start-ups fehlt – aber die Suche nach Investoren gestaltet sich seit dem sprunghaften Anstieg der Zinsen deutlich schwieriger. Nun finden sich Start-ups in einer Situation wieder, in der die weitere Finanzierung unsicher ist und damit auch die Insolvenz zu einem ernst zu nehmenden (Droh-)Szenario wird. Für die Geschäftsführer geht das mit erheblichen Haftungsrisiken einher.
Die Euphorie ist groß, wenn im Rahmen der ersten Finanzierungsrunde eine neue Geschäftsidee gefördert wird. Geschäftsführer/Gründer und (Venture Capital-)Investoren zeigen damit, dass sie an eine gemeinsame Vision glauben und man „in einem Boot sitzt“. Die erste – und der Finanzierung eines Start-ups immanente – Resignation setzt ein, wenn das investierte Kapital nicht ausreicht, um den Break-even zu erreichen, sondern zusätzliches Kapital benötigt wird. Der Prozess der Gewinnung neuer Investoren ist oft langwierig. Gelingt eine Finanzierungsrunde – wie häufig – nicht auf Anhieb, retten sich die Start-ups oft über eine Zwischenfinanzierung durch (Wandel-)Darlehen oder harte oder weiche Zusagen bis zur nächsten Finanzierungsrunde. Der Übergang von der Investorensuche zur Krise ist fließend. Bis zuletzt wird versucht, Investoren zu überzeugen oder bestehende Gesellschafter zur Gewährung weiterer Mittel zu bewegen. Oft scheitern solche Bemühungen aber an unterschiedlichen Vorstellungen über die Entwicklung des Unternehmens oder Spannungen im Gesellschafterkreis. Die Beteiligten erkennen die Ernsthaftigkeit der Situation meist erst, wenn der Geschäftsführer auf eine konkrete Liquiditätslücke in den nächsten Wochen oder Tagen hinweist. Spätestens dann wird den Beteiligten bewusst, dass sie sich in einer Krise befinden und dass es nun um die Vermeidung einer Insolvenz geht.
Zwingende Insolvenzgründe und Insolvenzantragspflicht
An die Krise eines Unternehmens knüpft das Insolvenzrecht besondere Verhaltenspflichten und Haftungsnormen an. Neben allgemeinen Pflichten zur Krisenfrüherkennung (§ 1 StaRUG) hat ein Geschäftsführer nach § 15a Abs. 1 InsO bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn er eine straf- oder oft auch existenzbedrohende zivilrechtliche Haftung vermeiden möchte. Die dafür genannte Frist von drei beziehungsweise bei Überschuldung sechs Wochen (bis 31. Dezember 2023 acht Wochen, vgl. § 4a SanInsKG) zur Stellung eines Insolvenzantrags gilt – anders als oft angenommen – nur als Höchstfrist; die Haftung beginnt aber an Tag eins. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Unternehmen nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Das ist anhand einer Gegenüberstellung von liquiden Mitteln und (sämtlichen!) fälligen Verbindlichkeiten zu prüfen. Es genügt dabei nach der Rechtsprechung des BGH, dass eine 10%ige Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen nicht beseitigt werden kann. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (sogenannte Fortbestehensprognose). Liegt eine positive Fortbestehensprognose vor, so ist eine Überschuldung ausgeschlossen.
Herausfordernde Dokumentation
Eine positive Fortbestehensprognose liegt vor, wenn die Gesellschaft im Prognosezeitraum von grundsätzlich (rollierend) zwölf Monaten über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um die fällig werdenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu zahlen (sogenannte Durchfinanzierung). Auch wenn einzelne obergerichtliche (vom BGH nicht bestätigte) Gerichte für ein Start-up vereinfachte Anforderungen für eine Fortbestehensprognose formulieren, bleibt die Dokumentation herausfordernd. Der Geschäftsführer muss die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Durchfinanzierung im Prognosezeitraum durch eine fundierte Ertrags- und Finanzplanung darlegen. Gerade die Rechtsprechung zu der Frage des Grades der Verbindlichkeit von Finanzierungszusagen von Gesellschaftern beziehungsweise Dritten stellt die Geschäftsführer dabei vor Herausforderungen. Gelingt die geplante Finanzierungsrunde nicht, befinden sich nicht wenige Geschäftsführer in Erklärungsnot. Ist die Fortbestehens-prognose unsicher, sollte auch eine Überschuldungsbilanz (zu Zerschlagungswerten) erstellt werden. Erfahrungsgemäß liegen Zerschlagungswerte deutlich unter den Fortführungs- und Buchwerten, sodass die Verbindlichkeiten in aller Regel nicht gedeckt sind. Dies gilt für Start-ups insbesondere beim Ansatz von immateriellen Vermögenswerten (wie Patenten oder Software), die nur zu einem Bruchteil der Entwicklungskosten angesetzt werden können.
Damoklesschwert Insolvenzverschleppung
Scheitert die Finanzierung und wird der Insolvenzantrag gestellt, muss der Geschäftsführer darlegen und beweisen, dass er den Antrag rechtzeitig gestellt hat. Gelingt dies nicht, droht ihm neben strafrechtlichen Risiken insbesondere die Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15b InsO). Über ihm hängt ein Damoklesschwert, dass er verbotswidrig seit Insolvenzreife geleistete Zahlungen an den Insolvenzverwalter erstatten muss. Regelmäßig führt die Erkenntnis eines solchen Risikos kurz vor einer Zahlungsunfähigkeit zur Schockstarre, da die erforderlichen Prognosen und Liquiditätspläne (wenn überhaupt existent) nur stiefmütterlich (und nur mit dem Ziel der nächsten Finanzierungsrunde) erstellt wurden, allerdings nicht die für den Nachweis einer Fortbestehensprognose notwendige Tiefe haben. Dem Geschäftsführer ist deshalb dringend anzuraten, sich rechtzeitig mit den wesentlichen Pflichten vertraut zu machen: Denn mit Hinweis auf eine fehlende Kenntnis oder mangelnde Erfahrung kann er sich nicht verteidigen.
Das Dilemma der Gründer
Aus juristischer Sicht befindet sich ein Start-up als ein Unternehmen, das regelmäßig absehbar keine Erträge erwirtschaftet, eigentlich in der „Dauerkrise“. Eine Auseinandersetzung mit den juristischen Pflichten und Risiken erfolgt allerdings in der Praxis erfahrungsgemäß erst im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Meist ist dies allerdings zu spät, um eine Haftung für die Geschäftsführer nachhaltig vermeiden zu können. Zu diesem Umstand trägt bei, dass in der Krise die Stakeholder keine gleichgerichteten Interessen haben. So hofft ein Gesellschafter, dass die Suche nach einem Investor so lange dauert, bis er gefunden ist. Das Risiko der Insolvenzverschleppung trägt aber regelmäßig allein der Geschäftsführer. Insofern bricht das „gemeinsame Boot“ plötzlich in zwei Hälften, und der Geschäftsführer muss seinen insolvenzrechtlichen Pflichten nachkommen – und zwar auch gegen entsprechenden Druck der Investoren. Besonders kritisch ist die Situation, wenn beim Geschäftsführer die Erkenntnis reift, dass er bereits die Insolvenz verschleppt.
Fazit
Wie so oft sind eine gute Prävention und Planung die beste Vermeidung. So sollte sich ein Geschäftsführer an der juristischen Krise und den damit verbundenen (insolvenzrechtlichen) Pflichten orientieren und eine diesen genügende (Liquiditäts-)Planung erstellen und fortschreiben, um eine Durchfinanzierung kurz- (13 Wochen), mittel- (sechs bis zwölf Monate) und langfristig (> 24 Monate) ausreichend dokumentieren zu können. Die Planung zwingt dann dazu, die notwendigen Zusagen und Bewertungsfragen rechtzeitig zu klären, damit sich im Zeitpunkt des Scheiterns einer Finanzierungsrunde nicht bereits das Haftungsrisiko realisiert, sondern – sollte es keine andere Lösung geben – rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt werden kann.
Über den Autor:
Dr. Michael Schaumann ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Görg Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen M&A, Restrukturierung und Venture Capital.