Bildnachweis: Bioökonomierat, FCF, Bayern Kapital.
Der Corona-Boom ist längst vorbei, doch weiterhin bieten Biotechnologie und Gesundheit gute Investitionsmöglichkeiten. Start-ups und Investoren sehen sich mit alten und neuen Herausforderungen konfrontiert. Spezielles Wissen ist notwendig, um Erfolgsgeschichten fortzuschreiben und neue hinzuzufügen.
Die Jahre 2022 und 2023 präsentierten sich für Investitionen mitunter relativ stürmisch, auch oder gerade für Venture Capital-Investitionen in den Lebenswissenschaften. „Die Finanzierungsrunden waren überschaubarer, die Finanzierungsreichweite damit geringer. Dies galt vor allem für frühe Projekte mit hohem Finanzbedarf und entsprechend hohem Risiko. Ausnahmen wie TRiCares und Tubulis oder ITM bestätigen hier eher die Regel“, sagt Monika Steger, Geschäftsführerin von Bayern Kapital. Trotzdem ist es den deutschen Biotech-Unternehmen im vergangenen Jahr gelungen, mit rund 1,08 Mrd. EUR etwas mehr Kapital einzusammeln als 2022 (920 Mio. EUR). Knapp die Hälfte davon (533 Mio. EUR) floss 2023 in Form von Venture Capital an private Unternehmen, 547 Mio. EUR wurden in Form von Kapitalerhöhungen investiert, so eine aktuelle Datenerhebung des Branchenverbands Bio Deutschland.
Es herrscht wieder Zuversicht
„Natürlich sind wir aktuell nicht da, wo wir zu Zeiten des Corona-Booms einmal waren“, resümiert Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin von Bio Deutschland. „Aber im vergangenen Jahr gab es durch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA so viele Biotech-Zulassungen wie nie zuvor. Von daher rechnen wir mit einem positiven Effekt für Life Sciences-Finanzierungen.“ Dabei sehen viele Fonds, so Bronsema, gar nicht „zu wenig“ Kapital. Das Problem sei eher, wie das Geld in die Unternehmen komme. „Venture Capital ist ein internationales Geschäft, und wenn die klassischen Finanzierungswege nicht zur Verfügung stehen, muss Kapital über Partnerschaften, Meilensteinzahlungen oder über ein M&A-Geschäft in die Firma geholt werden“, sagt Bronsema und nennt als Beispiel die Übernahme von MorphoSys durch den Pharmakonzern Novartis. „Gerade für große Konzerne sind Deals interessant, weil sie sich auf diesem Weg wertvolles Forschungs-Know-how ins Haus holen können.“
Alte und neue Herausforderungen
Trotzdem sehen sich Life Sciences-Unternehmen in Deutschland mit altbekannten Herausforderungen konfrontiert. Experten sehen weiterhin Handlungsbedarf im Technologietransfer von Universitäten in Unternehmen. So ist es beispielsweise in der Wirkstoffentwicklung nicht unerheblich, schon vor der Gründung und dem Fundraising-Prozess zu wissen, ob ein Molekül oder eine Indikation auch wirklich eine Chance haben, finanziert zu werden. Firmen benötigen heute Bioinformatiker, Genetiker, Diagnostiker oder Statistiker und müssen spezielle Software schreiben sowie genetische Daten analysieren und übersetzen. „Viele Entwicklungsschritte werden zunehmend digitalisiert, und Pharma befindet sich in einem kompletten Umbruch“, unterstreicht Mathias Klozenbücher, Managing Director von FCF Corporate Finance. Dazu kommen weitere Anforderungen: „Netzwerke sind generell von entscheidender Bedeutung. Unternehmer müssen sich im Kapitalmarkt Deutschland auskennen, die Sprache der Investoren sprechen und sich gegebenenfalls Rat von kompetenten Beratern einholen“, bekräftigt Steger. Einerseits müsse eine kritische Masse an Investoren angesprochen werden, andererseits sei es wichtig, zu verstehen, was ein Investor sehen will, um die Bereitschaft für ein Investment aufzubauen. „Es gilt, die richtigen Triggerpunkte und Meilensteine für eine Finanzierungsrunde zu setzen“, so Steger. „Und nicht zuletzt muss man kalkulierte Risiken eingehen.“
Expertise gefragt
Entsprechende Anforderungen gelten jedoch nicht nur für Gründer und Start-ups, sondern auch für Investoren. „Viele Fondsbetreiber haben sich inzwischen das Thema ‚Life Sciences‘ auf die Fahnen geschrieben“, sagt Klozenbücher. „Wir sehen immer häufiger Family Offices, die in ‚Gesundheit‘ investieren oder in Zukunft investieren möchten.“ Die Motivation dafür käme einerseits aus persönlichem Interesse an einem bestimmten Healthcare-Thema, aber auch über strategisches Interesse des Familiengeschäfts. Viele ehemalige Gründer würden ihr gewonnenes Kapital zudem in andere Neugründungen investieren. Auch der Corona-Boom habe dazu geführt, dass Generalisten unter den Venture Capital-Gebern ihr Interesse an den Life Sciences entdecken. „Corona hat diesen Boom befeuert, da immer mehr Krankenkassen digitale Anwendungen in ihren Leistungskatalog übernommen haben. Dieser Trend wird in Zukunft noch weiter zunehmen“, so Klozenbücher. Das öffnet die Branche für neue, vormals eher weniger biotechaffine Investoren, also solche, die vormals vor allem in Software, Hightech oder Maschinenbau investiert haben. Diese Investoren seien zwar mit Start-up-Themen durchaus vertraut, jedoch fehle es ihnen zuweilen an spezieller Expertise aus Biotechnologie, Pharma und Medizintechnik. „Life Sciences sind eine sehr spezielle Wissenschaft und fordern auch auf Investorenseite ein spezielles Fachwissen“, unterstreicht Klozenbücher.
Internationale Investoren an Bord
Vor allem nach den Seed-Runden findet zunehmend eine erforderliche Internationalisierung der Investorengruppe bei den folgenden größeren Finanzierungsrunden statt. „Viele deutsche Unternehmen werden nach einer Series A-Finanzierung von ausländischen, Life Sciences-spezifischen europäischen Venture Capital-Investoren finanziert“, so Klozenbücher. Einerseits stärkt dies die Unternehmen im internationalen Wettbewerb und macht sie andererseits attraktiv für ein externes, erfahrenes Management. Dieses bleibt auf dem Weg zur Marktreife unerlässlich. Doch selbst bei vorhandener Expertise – Unternehmen im Life Sciences-Bereich sind mit langen und kapitalintensiven Vorlaufzeiten für Forschung und klinische Studien vor der Generierung von Umsatz konfrontiert. Und nicht zuletzt stehen Unternehmer vor der Frage, welche Kapitalspritze am besten zum Unternehmen passt: „Ein Merger, ein IPO, eine Series B-Finanzierung? Auch hier ist es von Vorteil, auf ein starkes Netzwerk zugreifen zu können und kompetente Berater zur Hand zu haben“, sagt Steger.
Megatrend Digitalisierung
Ein Trend sind fortgeschrittene Datengenerierungs- und Analysewerkzeuge, die sich sowohl auf von Patienten gemeldete Daten aus der realen Welt konzentrieren als auch auf biologische und klinische Daten. Dies ermöglicht die Klärung der Wirkungsweise bestimmter Krankheiten und die Entdeckung neuer Behandlungen. „Vieles, was an sensiblen Daten gesammelt wird“, sagt Bronsema, „kann nur mit KI oder maschinellem Lernen sinnvoll genutzt werden.“ Gleichzeitig ließen sich Kosten und Energie sparen und somit auch in der Wirkstoffentwicklung wesentlich nachhaltiger arbeiten. „Wir erleben auch eine Konvergenz verschiedener Technologien, eine enge Verknüpfung von Lebenswissenschaften mit den Ingenieurwissenschaften oder IT.“ Weitere interessante Entwicklungen finden sich im Bereich der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Dies sind präzise Werkzeuge, da die Antikörper spezifisch gegen Antigene gerichtet sind, die auf entarteten Krebszellen vorkommen. Dazu kommen Radiopharmazeutika sowie neue Varianten der RNA- beziehungsweise der Gen- und Zelltherapien, etwa RNA-Editing oder Innovationen wie CARNK- und CAR-M-Therapien. „Und jenseits der Krebstherapien zeigt der Erfolg der neuartigen ‚Abnehmpillen‘ das enorme Marktpotenzial in diesem Feld“, unterstreicht Steger.
Optimismus überwiegt
Aktuell überwiegt unter Experten also der Optimismus: „Wir erwarten wieder Börsengänge, als Exit-Kanal für Venture Capital-Investoren, in signifikanter Höhe und Anzahl“, so Steger. Demnach blicken vor allem US-amerikanische Investoren zunehmend auf Targets in Europa aufgrund niedrigerer Bewertungen im Vergleich zu US-Unternehmen. Langfristig sei zudem ein weiterer Aspekt nach wie vor interessant: „Nachdem Big Pharma gut gefüllte Taschen hat und auf der Suche nach externen Innovationen ist, sollte sich auch der Bereich M&A erfreulich entwickeln“, erklärt Steger und mahnt zugleich: „Wir begrüßen aber generell die Rückbesinnung auf Kapitaleffizienz.“
Fazit & Ausblick
„Partnerschaften mit großen internationalen Pharmakonzernen sind schon lange die wichtigste Einnahmequelle von Biotech-Firmen“, fasst Bronsema zusammen. „Gleichzeitig
werden wir aber künftig auch wieder mehr Eigenkapital in der Branche sehen.“ Voraussetzung sei allerdings, dass auch nach den Präsidentschaftswahlen die USA ein verlässlicher Partner für Finanzierung bleiben. „Die Durchlässigkeit der Märkte muss gewahrt bleiben. Deutschlands Biotechnologieindustrie ist weitgehend technologisch souverän, finanziell allerdings nicht.“ In den letzten Jahren habe auch eine natürliche Selektion der Biotech-Unternehmen stattgefunden. „Nicht alle haben den Finanzierungseinbruch nach Corona überlebt“, meint Klozenbücher. „Nun sind die attraktiven Targets übrig geblieben, die Bewertungen sind wieder gesunken und die Investoren wollen ihr Dry Powder investieren.“ Gleichzeitig sei die Attraktivität des Digital
Health-Markts weitergewachsen. Die Digitalisierung von Healthcare und Life Sciences ist ein Wachstumsmarkt, sei es bei der Ermittlung, Analyse, Diagnose oder Übermittlung von Patientendaten, Modernisierung und Innovation bei IT-Systemen oder bei der digitalen Medikamentenentwicklung. „Und dafür müssen wir mehr Marketing machen – zum einen, weil uns diese Themen alle angehen, und zum anderen, um mehr privates Kapital zu generieren“, unterstreicht Klozenbücher. „Die Healthcare-Systeme sind weltweit überlastet, und dabei wird jeder Mensch einmal Patient sein.“