„Mobilität und Energie wachsen immer mehr zusammen“

Investieren in Transformation

Dr. Marco Rummer (E.On One), Mischa Wetzel (Vireo Ventures), Matthias Schanze (rethink Ventures)
Dr. Marco Rummer (E.On One), Mischa Wetzel (Vireo Ventures), Matthias Schanze (rethink Ventures)

Bildnachweis: E.On One, Vireo Ventures, rethink Ventures.

Mobilität und Energie sind wachsende Märkte, die von technologischen Fortschritten und sich ändernden Verbraucherpräferenzen angetrieben werden. Investitionen in diesem Bereich bieten die Möglichkeit, von diesem Wachstum zu profitieren. Doch es gibt auch einiges zu beachten.

Im Jahr 2023 war zwar in vielen Sektoren ein Rückgang der Venture Capital-Investitionen zu verzeichnen. Gesunkene Bewertungen, höhere Zinssätze, makroökonomische Unsicherheit und geopolitische Risiken waren die Hauptgründe, aber dieser Trend ist nicht einheitlich. „Unsere regelmäßigen Gespräche mit Venture Capital-Investoren zeigen, dass Energie und Mobilität weiterhin im Fokus stehen“, sagt Dr. Marco Rummer, Geschäftsführer von E.on One. „Allerdings gibt es Unterschiede: Während die Investitionen in den Energiesektor die Dynamik des Vorjahres beibehalten haben, kühlt sich die Investitionsbereitschaft im Mobilitätssektor etwas ab.“ Für eine erfolgreiche Energiewende müssten aber alle Bereiche, die dekarbonisiert werden sollen, mit ausreichend Kapital ausgestattet werden.

Growth Stage spürt Veränderungen

„Als Seed Stage-Wagniskapitalist mit Fokus auf Energytech haben wir keine Schwierigkeiten, geeignete europäische Co-Investoren für unsere Themen zu finden“, sagt Mischa Wetzel von Vireo Ventures Management. „Das können Impact-, Greentech- oder sektorenagnostische Venture Capitalisten sein, oder auch Spezialistenfonds aus angrenzenden Bereichen wie Proptech, Logistik oder Mobilität. Auch zur Series A gelingt das noch ohne Probleme.“ Diese treten allerdings auf, wenn es in der Growth Stage dann stattlicher Finanzierungsrunden bedarf, um eine Technologie global auszurollen. Auch um große, nachhaltige Unternehmen zu bauen, sei die Verfügbarkeit an europäischen Mitteln aber stark limitiert. „Die großen Schecks werden dann häufig von nicht europäischen Lead-Investoren geschrieben, was wirtschaftlich für Gründer und beteiligte Investoren weniger problematisch ist, für eine nachhaltige Wertschöpfung in Europa bei Themen kritischer Infrastruktur aber sicherlich nicht ideal“, so Wetzel.

Über Elektrifizierung hinaus

„Mobilität und Energie wachsen immer mehr zusammen und können nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden“, unterstreicht Matthias Schanze, General Partner bei rethink Ventures. „Die Zeiten, an denen sich beide Themen sprichwörtlich nur an der Zapfsäule getroffen haben, sind vorbei.“ So müssten sich beispielsweise Unternehmen, die eine Flotte von 1.000 elektrobetriebenen Fahrzeugen betreiben, auch Gedanken darüber machen, woher sie den notwendigen Strom beziehen und wann genau welches Fahrzeug geladen werden sollte. „Das betrifft Wirtschaft, Politik und Kunden gleichermaßen“, so Schanze. „Die Überlegungen werden immer konkreter, auch bei kleinen Unternehmen auf einer funktionalen Ebene wie Einkauf oder Gebäudemanagement.“ Dies spiele etwa beim Flottenmanagement eine große Rolle. Firmen legen konkrete Ziele für Anforderungsprofile für E-Autos und Standortertüchtigungen fest, um eine geeignete Ladeinfrastruktur zur Verfügung zu stellen. „Denn vor allem im B2B-Umfeld erleben wir eine zunehmende Elektrifizierung von Fahrzeugflotten.“ In diesem Zusammenhang erlebe man aber auch einen hohen Beratungsbedarf seitens der Unternehmen. „Die Geschwindigkeit der Marktdurchdringung hängt neben dem Preis der Fahrzeuge insbesondere von der flächendeckenden Verfügbarkeit von Ladestationen ab. So benötigen wir Lösungen, die auch den 58% der Bevölkerung, die in Mehrfamilienhäusern leben, preiswertes Laden zu Hause erlauben“, ergänzt Wetzel. Die Ausstattung von Firmenparkplätzen mit Ladeinfrastruktur sowie der Ausbau von Schnellladestationen, bei denen die Dauer eines Ladevorgangs mit der eines herkömmlichen Tankvorgangs vergleichbar ist, sieht Wetzel als weitere Treiber. „Ich sehe in all diesen Punkten sehr positive Entwicklungen und denke, dass die Hochlaufkurve in den nächsten Jahren deutlich steiler wird.“

Transformation des Energiesystems

„Der Ausbau von PV- und Windkraftanlagen erfordert auch eine grundlegende Transformation des Energiesystems – denn dadurch, dass immer mehr Menschen in eine PV-Anlage oder eine Wärmepumpe investieren, wird die Energieversorgung insgesamt dezentraler, kleinteiliger und volatiler“, sagt Rummer. Die zentrale Herausforderung dabei sei, die Versorgungssicherheit trotz dieser zunehmenden Komplexität zu gewährleisten.

Energiewirtschaftliche Herausforderungen

Aus energiewirtschaftlicher Sicht sei die größte Herausforderung, dass die Kapazität der bestehenden Stromnetze nicht für die Anforderungen der neuen dezentralen Energie- und Mobilitätswelt ausgelegt ist, ist sich Wetzel sicher: „Statt dies durch das Verlegen von immer dickeren Kabeln lösen zu wollen – ein teures, langwieriges Unterfangen –, muss das Energiesystem aus zentraler und dezentraler Erzeugung, Netzen, Speichern und Verbrauchern intelligent gesteuert werden.“ Eine wichtige Rolle dabei spielt natürlich auch die Digitalisierung. „Ohne digitale Lösungen wird die Energiewende nicht gelingen“, unterstreicht Rummer. „Ein gutes Beispiel ist die Menge an Netzanschlussbegehren. Um diese bewältigen zu können, brauchen wir zwingend automatisierte, digitale Prozesse.“ Denn durch den enormen Zuwachs an neu angeschlossenen Verbrauchern in Kombination mit der schwankenden Stromerzeugung aus Sonnen- und Windenergie entstehe eine völlig neue Dynamik. Um die daraus resultierende Volatilität im Stromnetz auszugleichen und Überlastungen zu vermeiden, sei man auf ein intelligentes Netzmanagement angewiesen. „Hier werden Digitalisierung und Automatisierung und in Zukunft sicherlich auch KI einen wichtigen Beitrag leisten“, ist sich Rummer sicher. „Denn ein intelligentes Netzmanagement muss in der Lage sein, die enormen Datenmengen so zu verarbeiten, dass das Zusammenspiel von Energieproduktion und -verbrauch optimal gesteuert und der CO2-Ausstoß damit reduziert wird.“

Batterietechnologien im Trend

Investoren bietet sich also eine breite Palette von Investitionsmöglichkeiten. „Das beinhaltet auch Ladestationen für Lkws“, ergänzt Schanze. „Der Markt sucht nach Lösungen, und Start-ups, die diese bieten, treffen auf das Interesse der Investoren. Das betrifft nicht nur den reinen Aufbau von Ladestationen, sondern beispielsweise auch die Integration von Ladesäulen in Parkhäuser oder die Integration des Lademanagements in Abrechnungssysteme.“ Für Investoren seien Batterietechnologien aktuell ein großes Thema, bestätigt Schanze. „Ein Zukunftsthema ist auch Vehicle-to-Grid und konkret die Rolle von Tausenden Fahrzeugen als Pufferspeicher, die Regelenergie in die Stromnetze einspeichern können.“ Kein typisches Umfeld für Venture Capital-Investments waren bisher intelligente Verkehrssysteme, die den Verkehrsfluss verbessern und Staus reduzieren können. Das beinhaltet auch die 5G-Infrastruktur, die die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur ermöglicht. Davon profitieren auch Unternehmen, die sich auf autonome Fahrzeugtechnologien konzentrieren. Dies umfasst Sensortechnologien, KI-Entwicklung, Softwareentwicklung und Plattformen für autonomes Fahren, in die Konzerne und Start-ups viele Milliarden investiert haben, während sich gleichzeitig die Marktreife verzögert hat. „Unternehmen, die sich auf alternative Transportmittel wie Elektrofahrräder, E-Scooter und andere Formen von Mikromobilität konzentrieren, finden sich in einem Umfeld hohen Kapitalbedarfs und anspruchsvoller Wettbewerbssituation wieder, Letzteres bedingt durch die Vielzahl neuer, spannender Fahrzeugkonzepte mit zwei, drei oder vier Rädern“, sagt Schanze. Viel Aufmerksamkeit von Investoren werden Unternehmen finden, die Technologien für die Optimierung von Lieferketten und Logistikprozessen entwickeln, einschließlich Routenoptimierung, Lagerautomatisierung und Last Mile-Lieferung. „Zwei maßgebliche Treiber“, so Schanze, seien „viele Städte in der EU, die einen emissionsfreien Lieferverkehr verlangen, und der Personalmangel entlang der gesamten Logistikkette, nicht nur bei Lkw-Fahrern.“ Gewissermaßen artverwandt präsentieren sich hier Investitionen in erneuerbare Energien wie Solarenergie und Windkraft, die die Stromversorgung für Elektrofahrzeuge sauberer und nachhaltiger machen. „Das betrifft auch Investitionen in Sustainable Aviation Fuels beziehungsweise den vergleichbaren Marinebereich, also Treibstoffe für die Luft- und Schifffahrt, die ohne fossile Rohstoffe auskommen“, ergänzt Schanze.

Politische Meinung beeinflusst Investments

Eine Ausnahme macht der General Partner von rethink Ventures beim Thema „Wasserstoff für den Mobilitätsbereich“: „Das ist für den Pkwund Lkw-Bereich ein sehr politisch besetztes Thema und wird in den einzelnen Ländern durchaus verschieden unterstützt. Gesamteuropäisch gesehen ist es für Investoren deshalb schwieriger, dort Fuß zu fassen.“ Für Investoren sei ein regulatorisch langfristig stabiler Rahmen generell vorteilhaft. Wetzel: „Die Energiebranche in Europa ist äußerst heterogen strukturiert, die lokalen regulatorischen Bedingungen und Marktstrukturen unterscheiden sich von Land zu Land stark.“ Das erschwere den internationalen Rollout innovativer Produkte und schütze die europäischen Märkte bislang davor, von finanzstarken Start-ups zum Beispiel aus den USA überrannt zu werden. „Es führt aber auch dazu, dass sich viele Start-ups in ihren Heimatmärkten einrichten und sich letztlich eine Vielzahl von semierfolgreichen Wettbewerbern mit jeweils regionalem Schwerpunkt etabliert“, so Wetzel.

Begehrte Innovationen

Man müsse dafür sorgen, dass auch nach dem Ausstieg der Wagniskapitalinvestoren
nachhaltige Innovationen entstehen, meint Rummer: „Der Weg dieser Start-ups ist oft lang – eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung ist wichtig, damit sie wachsen und ihren Beitrag zur Energiewende leisten können. Etablierte Firmen sind darauf angewiesen, Innovationen von Start-ups zu nutzen. „Mittelständische Firmen sind daran interessiert, Innovationen von Start-ups dahin gehend zu testen, ob diese für ihre eigenen Belange nützlich sind“, sagt Schanze. „Wir haben selbst Investoren aus dem Mittelstand, die von uns wissen wollen: Wo sind die Start-ups, mit denen wir zusammenarbeiten können? Was sind neue Technologien und Geschäftsmodelle, die wir kennen müssen?“ Viele neue Start-ups kämen selbst aus erfolgreichen Start-ups – sogenannte Scale-ups. „Auch dort, wo eine enge Verzahnung von Technischen Universitäten und Gründerzentren existiert, erleben wir eine Vielzahl von neuen Ideen und Start-ups“, so Schanze. Start-ups generieren sich also eher aus einem wissenschaftlichen Umfeld. „Ausgründungen aus Konzernen haben nach meiner Beobachtung eine eher geringe Erfolgswahrscheinlichkeit, aufgrund unterschiedlicher Arbeitsweisen und Kulturen und auch schwieriger Fragen der Kapitalbeteiligung und Incentivierung. Umgekehrt halte ich es für sehr sinnvoll, wenn Konzerne auch strategisch zukaufen, um sich für die Herausforderungen der sich ändernden Marktbedingungen zu wappnen“, schließt Wetzel.