Krise der Startup-Finanzierung – Was kommt nach dem Tiefpunkt?

Kommentar

Krise der Startup-Finanzierung – Was kommt nach dem Tiefpunkt?
Krise der Startup-Finanzierung – Was kommt nach dem Tiefpunkt?

Bildnachweis: Pexels.

Nach dem Krisenjahr 2023 scheint eine Bodenbildung bei der Start-up-Finanzierung
erreicht – auch dank des AI-Hypes. Eine schnelle Erholung ist indes angesichts des
weiterhin zu hohen Zins- und Inflationsniveau, einer wackeligen Konjunktur und
geopolitischen Unwägbarkeiten fraglich. Mehr noch: Auch Venture-Capital-Fonds tun
sich zunehmend schwer, ihre Fonds zu closen. Für Startup dürfte der Wettbewerb um
frisches Kapital rauer werden.

Downrounds, Entlassungswellen, Insolvenzen – das Jahr 2023 stellte eine Zäsur für das
gesamte Start-up-Ökosystem dar. Global betrachtet fielen die Start-up-Investitionen auf das
niedrigste Niveau seit fünf Jahren und verzeichneten im Jahresvergleich einen weiteren
scharfen Rückgang um 38 Prozent. Die Nachwirkungen der Pandemie, geopolitische
Konflikte, Inflation und hohe Zinsen, all dies hat die Investitionsbereitschaft der meisten
Risikokapitalgeber massiv gehemmt. Start-ups in Europa mussten dabei noch stärker bluten
als ihre US-amerikanischen Leidensgenossen. Besonders hart getroffen hat es europäische
Later-Stage-Start-ups – dort hat sich das Fundingvolumen im vergangenen Jahr halbiert.
Schaut man auf neueste Zahlen, dann scheint nach dem Horrorjahr 2023 aktuell eine
gewisse Bodenbildung stattzufinden: In den USA stieg das Deal-Volumen zuletzt um 11
Prozent, wenngleich in Summe jedoch weniger Equity-Deals abgeschlossen wurden. Auch
in Europa bewegten sich die VC-Investments aktuell seitwärts.

Die Krise ist auch bei den Venture-Capital-Fonds angekommen

Dass die Krise jedoch längst auch bei den Venture-Capital-Fonds angekommen ist – und
darum wohl auch nicht allzu bald verschwinden wird –, zeigt ein Blick auf die Fonds-
Closings. Mit durchschnittlich 15 Monaten brauchten VCs so lange wie seit einem Jahrzehnt
nicht mehr, um ihre Fonds zu schließen. Zwar konnten zuletzt namhafte VCs wie Lakestar
und HV Capital große Fonds closen, doch die allgemeine Lage bleibt angespannt: So haben
Venture-Capital-Fonds laut Financial Times weltweit in 2023 so wenig Kapital wie zuletzt vor
acht Jahren eingesammelt. Einer der wichtigsten Gründe hierfür: Die Anzahl und die Größe
der Exits von VC-finanzierten Startups ist zuletzt abgesackt, das kurze IPO-Fenster scheint
bereits wieder geschlossen, sodass es für Wagniskapitalgeber deutlich schwieriger wird ihre
Renditeversprechen zu erfüllen und sich zu refinanzieren. Bestätigt sich das magere
Fundraising auf VC-Seite in den kommenden Monaten, könnte die Sauregurkenzeit für
Start-ups auch weit über 2024 hinaus anhalten.

Zweiklassengesellschaft bei Startup-Bewertungen

Blickt man auf die Bewertungen, zu denen Start-ups derzeit Kapital einsammeln können,
zeigt sich ein interessanter Trend. Denn es entsteht beinahe eine Zweiklassengesellschaft:
Auf der einen Seite stehen AI-Start-ups, die bei Early-Stage-Finanzierungen mit
durchschnittlich 70 Millionen US-Dollar bewertet sind; auf der anderen Seite steht der Rest,
der im Vergleich mit Abschlägen von 30 Prozent und mehr rechnen muss. So liegt etwa die
durchschnittliche Bewertung eines Early-Stage-SaaS-Start-ups bei nur 46 Millionen US-Dollar. Entsprechend wundert es kaum, dass die aktuell zu beobachtende Bodenbildung bei
den VC-Investitionen primär dem AI-Hype und den einhergehenden Megarunden für
Startups wie etwa Aleph Alpha oder Mistral AI zu verdanken ist. Auch BioTech- und
Cleantech-Start-ups haben zuletzt überdurchschnittlich beim Fundraising performt. Ein
weiterer Hoffnungsträger für eine kommende Erholung im Venture-Capital-Markt ist
ausgerechnet ein schon vielfach totgesagter Sektor, der pünktlich zum Frühsommer wieder
aufblüht: Der Krypto-Markt und mit ihm auch die VC-Investments in Web3-Unternehmen. So
flossen im ersten Quartal 2,4 Milliarden US-Dollar in Krypto-Startups – knapp 50 Prozent
mehr als im Quartal zuvor. Das ist zwar noch weit entfernt von den 11 Milliarden US-Dollar,
die im letzten Boom in Q1 2022 investiert wurden, doch glaubt man nicht wenigen
Marktbeobachtern, steht der nächste Bullenmarkt im Krypto-Sektor ja bereits in den
Startlöchern.

Equity Story kann zum Zünglein an der Waage werden

Allen zaghaften Hoffnungsschimmern zum Trotz: Ein wirklicher Turnaround ist in naher
Zukunft nicht zu erwarten, da das weiterhin zu hohe Zins- und Inflationsniveau, eine
schwache Konjunktur und geopolitische Unwägbarkeiten schlicht zu dominant sind – und
wohl auf absehbare Zeit auch bleiben werden. Gründer sollten sich fürs Erste besser
auf weiterhin angespannte Markt- und Finanzierungsbedingungen einstellen und mit
zurückhaltenden Investor:innen kalkulieren – zumindest solange die Spatzen noch keine
Zinswende von den Dächern pfeifen. Wer in diesem weiterhin rauen Umfeld erfolgreich
Kapital einsammeln will, wird sich entsprechend strecken müssen. Strenge Kostendisziplin,
schlanke Operations, voller Fokus auf Sales und ein klarer Weg Richtung Profitabilität sind
in Krisenzeiten nicht nur überlebenswichtig, sondern neben einem attraktiven Markt und
einem fähigen Team auch Grundbedingungen für erfolgreiche Finanzierungsrunden. Denn
anders als in der letzten Hausse, als nicht selten Venture-Capital-Fonds Schlange standen
und um die Gunst von Start-ups warben, müssen sich Start-ups nun wieder bei VCs um
Kapital bewerben. Damit das gelingt, braucht es neben starken Fundamentals und klugem
Networking auch überzeugendes Equity Storytelling. Denn klar ist: Wenn Start-ups mit ihren
Mitbewerbern um die aktuell knappe Ressource Wagniskapital konkurrieren, dann wird es
verstärkt darauf ankommen, Investoren mit einer analytisch sauberen und zugleich
emotional packenden Equity Story zu überzeugen.

Über den Autor:

Nils Langhans ist Geschäftsführer der Strategieberatung KAUFMANN / LANGHANS. Er
berät Start-ups beim Fundraising und bei der Entwicklung ihrer Equity Story – von der Pre-
Seed- bis zur Later-Stage-Finanzierung.