„Die Investmentaktivitäten werden deutlich zunehmen“

Interview mit Christian Winter, Cusp Capital

Christian Winter (Cusp Capital)
Christian Winter (Cusp Capital)

Bildnachweis: Cusp Capital.

Im Jahr 2021 startete die in Essen ansässige Venture Capital-Gesellschaft Cusp Capital, die aktuell ein Fondsvolumen von insgesamt mehr als 280 Mio. EUR verwaltet. Die Investments werden basierend auf vier Thesen ausgewählt.

VC Magazin: Mit Cusp Capital investieren Sie in frühphasige Start-ups. Wie ist Ihr aktuelles Portfolio aufgestellt?

Winter: Mit unserem aktuellen Fonds haben wir bereits in 17 Unternehmen investiert; davon haben ca. 60% ihren Hauptsitz in Deutschland und der Rest in Ländern wie Spanien, Portugal, Schweden oder Finnland. Unser durchschnittliches initiales Investment liegt bei rund 4 Mio. EUR. Als in NRW tief verwurzelter Investor legen wir natürlich besonderen Fokus auf die Region, zuletzt etwa mit unserem Investment in das Softwareunternehmen acto aus Paderborn.

VC Magazin: Ihre Investments wählen Sie nach vier Thesen aus. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Winter: Unser Ziel ist es, in Unternehmen zu investieren, die wichtige gesellschaftliche und makroökonomische Trends und Veränderungen für sich nutzen. Unserer Meinung nach verschafft ihnen das den nötigen Rückenwind, um sich zu großen, erfolgreichen Unternehmen zu entwickeln. Unsere vier Investmentthesen dienen als Leitfaden und helfen uns, dieses Potenzial von Unternehmen in der frühen Phase zu erkennen.

VC Magazin: Worin besteht die erste These?

Winter: Eine unserer Thesen befasst sich mit branchenspezifischer Software für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) oder, wie wir sagen, „ISOS“ – Industry-Specific Operating Systems. Wir sind davon überzeugt, dass für die Digitalisierung fast aller Branchen hoch spezialisierte Cloud-Lösungen erforderlich sind, die auf die oft sehr speziellen Anforderungen von Unternehmen dieser Branche zugeschnitten sind. Unser Portfoliounternehmen Hero Software bietet zum Beispiel eine umfassende Lösung für Handwerksbetriebe an, unser Portfoliounternehmen Sides eine Lösung für die Gastronomie. Beide haben mittlerweile marktführende Positionen in Deutschland eingenommen. ISOS-Lösungen ermöglichen insbesondere KMU die gleiche Prozessexzellenz und Effizienz, die früher nur ein paar wenigen großen Spielern einer Branche vorbehalten war.

VC Magazin: Worum geht es bei der nächsten These?

Winter: Eine weitere These dreht sich um digitale Lösungen im Nachhaltigkeitsbereich. Konkret handelt es sich um das Themenfeld Environment, Social and Governance – ESG –, denn Digitalisierung und Nachhaltigkeit gehen für uns Hand in Hand. Wir arbeiten mit Gründern, die sich erstens der Wichtigkeit von sauber aufgesetzten ESG-Prozessen für den Erfolg ihres Unternehmens bewusst sind und zweitens das Themenfeld ESG als eine unternehmerische Chance verstehen. Gerade an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung sehen wir großes Potenzial entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens.

VC Magazin: Und die dritte?

Winter: Drittens interessieren wir uns für den Bereich der digitalen Infrastruktur. In Europa haben wir in den letzten 20 Jahren alle wesentlichen Komponenten unserer Onlineinfrastruktur an Unternehmen aus den USA oder Asien verloren. Wir sind der Meinung, dass wir es künftig schaffen müssen, digitale Infrastruktur wieder von europäischen Unternehmen bereitzustellen. Da es aber ein riesiges Problem gerade bei der Finanzierung solcher Themen in Europa gibt, schauen wir sehr genau auf einige Besonderheiten, zum Beispiel Unternehmen, die Open Source Software konzipieren.

VC Magazin: ISOS, ESG, digitale Infrastruktur – worauf zielt die vierte These ab?

Winter: Unsere vierte These dreht sich um „Lower Income Consumers“, wie wir es bezeichnen. Wir sind davon überzeugt, dass ein Großteil der etablierten digitalen Produkte und Services, von E-Commerce bis hin zu Streamingdiensten, nicht alle Menschen in der Fläche adressieren. Diese sind oftmals in erster Linie für digital affine Menschen mit höheren Einkommen konzipiert. Sie dürfen nicht vergessen, dass man in Deutschland mit einem Bruttojahreseinkommen von über 60.000 EUR zu den Top 10% der Einkommen zählt. Einkommensschwächere Zielgruppen werden ganz oft nicht berücksichtigt. Deshalb sind wir auf der Suche nach Unternehmern, die in der Lage sind, über ihre eigenen Bedürfnisse hinauszudenken und Möglichkeiten für digitale Produkte und Dienstleistungen zu erkennen, die die breite Masse an Menschen adressieren. Diese Potenziale sehen wir insbesondere auch bei Lösungen für Unternehmen und deren Mitarbeitende.

VC Magazin: Wieso haben Sie sich speziell für diese vier Thesen entschieden?

Winter: Wir beschäftigen uns mit gesellschaftlichen Trends und ihren zugrunde liegenden Auslösern und Treibern, um zukünftige Marktpotenziale identifizieren zu können. Unsere Thesen ergeben sich aus dieser Recherche, vielen Expertengesprächen und natürlich aus unseren Erfahrungen und Interessenschwerpunkten.

VC Magazin: Auf Veranstaltungen entstand in unserem Team kürzlich der Eindruck, dass das Interesse an ESG-konformen Investments aktuell bei generalistischen Investoren zunehmend aus dem Blickfeld rückt. Wie nehmen Sie das wahr?

Winter: Aus unserer Sicht herrscht nach wie vor eine kompetitive Marktsituation im Bereich von Nachhaltigkeitsinvestments – auch mit zum Teil überdurchschnittlich hohen Bewertungen. Wir sehen eine sehr hohe Aktivität bei Unternehmensgründungen und auch ein hohes Engagement von Investoren aller Größenordnungen in Bezug auf die entsprechenden Finanzierungen.

VC Magazin: Warum erachten Sie ESG als wichtigen Part bei Ihren Investments?

Winter: Wir haben nachhaltige Geschäftsmodelle als strategisch hochrelevanten Investmentfokus identifiziert und unsere Strategie Anfang 2020 mit Investoren besprochen, bereits bevor wir mit unserem aktuellen Fund in den Markt gegangen sind. Wir werden mit dem aktuellen Fonds einen hohen Anteil von ESG-relevanten Unternehmen finanzieren. Darüber hinaus ist für uns als Investor der Aufbau geeigneter ESG-Prozesse in unseren Portfoliounternehmen elementar, denn funktionierende ESG-Prozesse sind für die Zukunftsfähigkeit eines jeden Unternehmens unabdingbar. Grundsätzlich sehen wir ESG als einen Werttreiber für unsere Unternehmen an und schauen schon im initialen Investmentprozess und zu Beginn der Zusammenarbeit mit unseren Portfoliounternehmen zum Beispiel gemeinsam auf die materiellen ESG-Themenfelder, um Opportunitäten und Risiken zu identifizieren. Das heißt, wir analysieren sowohl die finanziellen Auswirkungen von ESG-Risiken auf das Unternehmen selbst als auch auf ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft und helfen ihnen, eine Unternehmensstrategie zu erstellen, die diese in ihre Entscheidungsprozesse einbezieht. Wir sehen da weniger eine Reglementierung, sondern eine Opportunität auf mehr Geschäft und bessere Bewertungen. Außerdem engagieren wir uns seit Beginn auch bei Initiativen wie VentureESG, um das Bewusstsein für die Bedeutung von ESG bei Venture Capitalisten zu schärfen.

VC Magazin: Wie bewerten Sie das derzeitige Preisniveau im Frühphasenmarkt? Welche Branchen sind Highflyer, wer hat es schwer?

Winter: Zuallererst schauen wir nur auf die Deals, an denen wir selbst beteiligt sind, daher ist für uns lediglich ein kleiner Teil des Markts transparent. Als Team sehen wir weiter großartige Unternehmen, in die wir investieren wollen, und sind fest davon überzeugt, dass in diesen eine relevante Wertentwicklung stattfinden wird. Grundsätzlich ist es aber so, dass unsere Branche seit Jahresbeginn wieder eine deutlich steigende Aktivität verzeichnet und damit auch bei einigen Unternehmen wieder hohe Bewertungen und große Summen platziert werden. Schwerer haben es derzeit E-Commerce- und Directto-Consumer-Geschäftsmodelle. Während sie in der Corona-Pandemie noch gehypt wurden, stehen diese Unternehmen gerade vor großen Herausforderungen. Zum einen verzeichnen sie geringere Wachstumsraten als prognostiziert, Kostensteigerungen, die nicht immer in Gänze an die Kunden weitergegeben werden können, und zu guter Letzt eine geringere Konsumlaune und weniger freie finanzielle Mittel bei der breiten Masse der Konsumenten ihrer Zielgruppe.

VC Magazin: Welche Erwartungen für den Venture Capital-Markt haben Sie mit Blick auf die zweite Jahreshälfte?

Winter: Wir nehmen derzeit eine positive Stimmung sowohl bei Investoren als auch bei Gründern wahr. Die Investmentaktivität im Markt wird unserer Einschätzung nach nochmals deutlich zunehmen. Ganz unabhängig vom Marktsentiment streben wir mindestens fünf neue Investments in der zweiten Jahreshälfte an.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Interviewpartner:

Christian Winter ist Investor und General Partner bei Cusp Capital und seit über 20 Jahren Teil des europäischen Venture Capital-Ökosystems. Er leitete Investitionen in mehr als 30 Unternehmen, darunter Zalando, Delivery Hero, Klarna, SumUp und Scalable Capital.