Bildnachweis: Trever, w3.fund, Deutsche Bank, Blockchain Founders Capital, Funds On Chain, VentureCapital Magazin, Pixabay.
Krise? Welche Krise? Im Fintech-Bereich ist das Wildwest-Monopoly der vergangenen Jahre vielleicht vorbei, aber es gibt immer noch jede Menge gute Investmentrunden und auch immer wieder erfreuliche Nachrichten von den bereits etablierten Playern.
Ein Beispiel dafür: Die Digitalbank Revolut hat im vergangenen Jahr ihren Umsatz auf 2,1 Mrd. EUR annähernd verdoppelt. Den Gewinn steigerte das britische Unternehmen nach eigenen Angaben auf über 500 Mio. EUR. CEO Nikolay Storonsky zeigte sich bei der Vorstellung der Zahlen des abgelaufenen Jahres beeindruckt vom Wachstum auf mehr als 45 Millionen Kunden. Zu den treibenden Kräften für das Wachstum zählten laut CEO höhere Umsätze pro Nutzer und die Expansion in neue Märkte. Nun will der Neobanker eine Bewertung von 40 Mrd. USD anstreben. In Deutschland rangeln die Onlinebank N26 und der Neobroker Trade Republic um die Spitzenposition. Hier läuft es für beide Unternehmen nicht vollkommen reibungslos. Allerdings gab es kürzlich gute Nachrichten für N26, denn das Unternehmen kann künftig wieder unbegrenzt Neukunden anwerben. Die Bankenaufsicht BaFin hat die Wachstumsbegrenzung vollständig aufgehoben. Im November 2021 war eine Beschränkung auf 50.000 neue Kunden pro Monat eingeführt worden, da N26 in der Startphase Geldwäscheverdachtsfälle zu spät gemeldet hatte.
N26 spielt in der obersten Liga
Trade Republic und N26 spielen in der obersten Liga der Start-ups in Deutschland. In der letzten Finanzierungsrunde im Jahr 2021 wurde Trade Republic mit 5 Mrd. USD bewertet – auf rund 9 Mrd. USD kommt N26. Auch bei den Kundenzahlen hat N26 die Nase vorn. Aktuell häufen sich bei Trade Republic öffentliche Beschwerden über den Kundenservice: Es ging um vermeintlich verzögerte Auszahlungen von Dividenden, nicht ausgeführte Sparpläne oder auch fehlerhafte Kundeninformationen. Besonders schlecht schnitt in der Folge der Kundenservice mit seinen Reaktionen ab, sodass nun die BaFin etwas genauer hinschauen möchte. Der Neobroker reagierte inzwischen mit einer Interviewoffensive des Trade Republic-Gründers Christian Hecker und kündigte eine Umstrukturierung beim Kundenservice an.
Der erste „Kater“ ist vorbei
Das allgemeine Klima in Deutschland für die gesamte Fintech-Branche, welche die Bereiche Banking, Trading, Lending, Payment, Insurtech und Web3/Blockchain umfasst, schätzen Experten durchaus optimistisch ein. Immerhin ist keine Überraschung, dass nach dem Boomjahr 2021 bei Gründungen und Finanzierungsrunden eine gewisse Konsolidierung erfolgt ist. Der erste „Kater“ ist mittlerweile vorbei; die Wolken über dem Investitionshimmel verziehen sich mehr und mehr, trotz der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Branchenexperten sprechen von einem Anstieg bei den Megarunden über 100 Mio. USD und auch insgesamt steige die Zahl der Deals wieder an. Dies stimme für die Zukunft weiter optimistisch. Henrik Bredenbals, Co-Founder und Partner bei w3.fund, meint zur aktuellen Lage: „Das Investitionsklima ist deutlich besser als noch vor einem Jahr. Die Venture Capital-Fonds sind reservierter als noch im letzten Bullenmarkt aufgrund des Makroklimas, aber alle Ereignisse rund um die ETFs und Institutionalisierung des Web3-Markts haben dazu geführt, dass wieder deutlich mehr Finanzierungsrunden stattfinden.“ Ähnlich gut gestimmt zeigt sich auch Wolfgang Männel, Managing Partner bei Blockchain Founders Capital, in seiner Einschätzung: „Wir sehen aktuell einen 30% bis 50% geringeren Dealflow als noch vor ein oder zwei Jahren. Allerdings ist die Qualität der Start-ups eher angestiegen. Der Hauptunterschied zu früheren Phasen liegt aus unserer Sicht darin, dass die Gründer inzwischen kapitaleffizienter agieren und rasche Umsätze anstreben, im Vergleich zu Wachstum mit viel Geld zu forcieren, wie es mit den Megarunden der Vergangenheit der Fall war.“
Gute Start-ups werden weiter finanziert
Dass die Start-ups durch das knappere Investorenkapital auf eine frühere Rentabilität achten, spricht auch für ein Erwachsenwerden dieses noch recht jungen Sektors. Einen ähnlichen Eindruck hat Joerg Landsch, Head Central Corporate Venture Capital bei der Deutschen Bank: „Ich beobachte, dass sehr gute Start-ups und Geschäftsmodelle weiterhin finanziert werden und entsprechende Ressourcen erhalten. Es ist aus meiner Sicht gesund für den Markt, dass nicht jedes Geschäftsmodell finanziert wird und nach dem Peak-Jahr 2021 eine gewisse Normalisierung stattfindet.“ Über die vergangenen zehn Jahre habe der Sektor eine gesunde Entwicklung gezeigt. Die Wagniskapitalinvestorenseite sieht also eine Rückkehr zu einer Normalität bei den Finanzierungsmöglichkeiten. „Die Fintech-Branche bleibt aber unverändert äußerst interessant, weil hier an so vielen Ecken und Enden noch Verbesserungspotenziale für Verbraucher und Unternehmen gehoben werden können“, ergänzt dazu Männel.
„Kein Track Record, Kein Geld!“
Und wie empfinden Gründer selbst die aktuelle Lage? „Wir haben 2021 gegründet, und da war es bereits eher durchwachsen. Mittlerweile ist der Risikoappetit bei Kapitalgebern nicht größer geworden. Unter dem Strich kann man sagen: kein Track Record, kein Geld! Was das Ganze natürlich schwierig macht“, bringt es Volker Braunberger, CEO von Funds On Chain, auf den Punkt. Hans-Jürgen Griesbacher, CEO und Co-Founder von Trever, sieht das Investitionsklima aktuell „neutral“ und damit immerhin besser als in den vergangenen beiden Jahren: „Wir können sagen, dass es nach dem Investitionshype zu einem schwierigeren Zugang zu Kapital kam. Dadurch sind Tech-Unternehmen im B2B-Bereich, die besonders effiziente Prozesse und Strukturen haben, hervorgestochen und haben mehr Sichtbarkeit gewonnen.“ Funds On Chain und Trever gehören beide zum Portfolio von Männels Blockchain Founders Capital. Sie verkörpern einen neuen Trend bei Gründungen im Fintech-Bereich, bei denen es weniger um neue Banken oder Handelssysteme geht.
B2B-Lösungen als neuer Trend im Fintech-Segment
Der Schwerpunkt liegt dabei eher auf B2B-Lösungen, die bestehende Prozesse effizienter und kostengünstiger machen können. Funds On Chain bietet eine Software as a Service-Plattform für die ganzheitliche Abwicklung digitaler und tokenisierter Fondsanteile und Wertpapiere für Finanzinstitute an. Dabei handelt es sich nach Aussage des Unternehmens „nicht nur um reine Tokenisierung, sondern um eine vollständige digitale Transformation komplexer Abwicklungsprozesse (für ELTIFs, Money Market Funds et cetera). Durch die entstehenden Optimierungen und Kostensenkungen wird das Produkt ‚Fonds‘ deutlich attraktiver für Investoren; darüber hinaus entstehen für Emittenten ganz neue Formen für den digitalen Fondsvertrieb.“ Trever stellt Finanzinstituten eine hochmoderne Infrastruktur zur Verfügung, um digitale Assets nahtlos anzubieten und zu verwalten. Die modulare Software des österreichischen Unternehmens bietet nach eigenen Angaben eine kompatible Infrastruktur und ermöglicht Handel, Transfer und Buchführung digitaler Vermögenswerte.
Neuer Kryptoinvestmentfonds
Der Berliner Web3-Venture-Capitalist w3.fund hat im Juni den Kryptoinvestmentfonds w3.wave gestartet, der aus der Fusion mit Wave Capital entstanden ist. Geführt wird w3.wave von den Kryptoinvestoren Julius Nagel und Philipp Beer, die beide auf eine Bilanz mit über 180 Investitionen zurückblicken. Die Fondsstrategie fokussiert liquide Tokens, um nach Aussage von w3.fund ventureähnliche Renditen zu erzielen. Insgesamt ist nach Ansicht von Co-Founder und Partner Henrik Bredenbals wieder mehr Bewegung in den Web3-Markt gekommen: „Durch den Eintritt der großen amerikanischen Institutionen in den Markt ist es klarer denn je, dass Web3 nicht nur eine ‚Spekulationsblase‘ ist, sondern die nächste Entwicklungsstufe des Internets darstellt. Inzwischen kristallisiert sich immer mehr heraus, dass in Zukunft alle Assets tokenisiert werden.“ Zum Portfolio des w3-Fonds gehört unter anderem Camino Network, eine blockchainbasierte Messaging Solution für die Travel-Branche, die viele Probleme in einer Industrie löst. Ein weiteres junges Portfoliounternehmen ist Iron Bank. Es handelt sich dabei laut Bredenbals um eine in Zukunft voll lizenzierte europäische Bank, die die stark unterversorgte, MiCAR-regulierte Digital Asset-Industrie bestehend aus Stablecoins, Market Makern und Exchanges mit B2B-Bankdienstleistungen versorgt.
„Die Welten haben sich vermischt“
Mit dem fortschreitenden Erwachsenwerden des Fintech-Sektors geht auch eine stärkere Kooperation zwischen der „alten“ Finanzbranche und den „jungen Wilden“ einher. „Die Welten haben sich inzwischen stark vermischt – ich sehe deutlich mehr Kooperation als Konfrontation“, sagt Landsch. Das führe dazu, dass ein großer Player wie die Deutsche Bank sich mit einem eigenen Corporate Venture Capital-Programm an jungen Unternehmen beteiligt: „Wir investieren minderheitlich in frühe Wachstumsfinanzierungen der Series A oder B – also in Unternehmen, die bereits ein Produkt haben und ihren Weg an den Markt vorskizzieren können. Das sind Firmen, die zeitnah skalieren wollen. Dabei können wir mit unserer Erfahrung, Know-how und globaler Reichweite unterstützen.“ Neben den bekannten Fintech-Themen – von Investmentbank und Unternehmensbank bis hin zur Privatkundenbank – sei man auch interessiert an Geschäftsmodellen rund um Künstliche Intelligenz, Daten oder Cybersicherheit und darüber hinaus Themen wie Future of Work, Cloud und ESG. „Die Deutsche Bank ist immer auf der Suche nach innovativen Lösungen, und wir haben schon viele Lösungen unserer Portfoliounternehmen erfolgreich in die Bank gebracht“, fügt er an.
Ausblick
Also alles in Butter? Das Auslaufen des Fintech-Hypes hat nicht zu einer veritablen Krise geführt. Stattdessen achten Investoren und Gründer stärker auf einen frühzeitigen Break even – und hinter vorgehaltener Hand gibt es kritisches Gemurmel angesichts der straffen Regulatorik.