Bewertung von Pre-Revenue-Start-ups durch Business Angels

Start-up-Bewertung

Prof. Dr. Dr. Gunter Festel
Prof. Dr. Dr. Gunter Festel

Die Bewertung von sogenannten Pre-Revenue-Start-ups, das heißt von Start-ups ohne Umsatz, ist aufgrund der fehlenden Umsatzdaten aus der Vergangenheit eine Herausforderung. Ein einfaches Bewertungsmodell, welches sich insbesondere für Business Angels eignet, kann dabei durchaus hilfreich sein.

Frühere Arbeiten zeigten, dass sich die Discounted Cashflow (DCF)-Methode für eine Unternehmensbewertung von Early Stage-Start-ups in der Pre-Seed- und Seed-Phase, die in der Regel „Pre-Revenue“ sind, durchaus eignet. Dabei müssen allerdings an bestimmten Stellen des Bewertungsprozesses die Besonderheiten von Pre-Revenue-Start-ups berücksichtigt werden – und hier kommt dem Betafaktor beziehungsweise dem darauf aufbauenden Diskontierungsfaktor eine entscheidende Rolle zu.

Anpassung des Betafaktors

Durch ein standardisiertes Bewertungsraster zur Anpassung eines Basis-Betafaktors auf Grundlage der in einem Businessplan enthaltenen Informationen und von Gesprächen mit dem Start-up kann das ohne großen Aufwand erfolgen. Das Bewertungsraster hat dabei in den fünf Kategorien Technologie, Produkte, Realisierung, Organisation und Finanzen insgesamt 20 Bewertungskriterien. Dabei erfolgt je nach Stärken oder Schwächen eine Adjustierung in Form von Zu- oder Abschlägen beim Betafaktor. Mit dem adjustierten Betafaktor und dem darauf aufbauenden Diskontierungsfaktor erfolgt die Berechnung eines adjustierten Barwerts beziehungsweise Net Present Value (NPV). Damit entfällt die oft lästige Diskussion, welcher Diskontierungsfaktor gerechtfertigt sei, da dieser nachvollziehbar und individuell hergeleitet wird. Da beim Betafaktor auch der risikolose Zinssatz und die Marktrisikoprämie eingehen, wird zudem die aktuelle Marktsituation an den Kapitalmärkten berücksichtigt.

Erfolgreiche Anwendung in der Praxis

Dies erlaubt einen nachvollziehbaren Vergleich von verschiedenen Investitionsmöglichkeiten. Zudem können die Verhandlungen zwischen Gründern und Investoren auf eine sachliche und objektive Basis gestellt werden. Die Methodik findet zum Beispiel Anwendung bei der Bewertung von Early Stage-Investitionsmöglichkeiten insbesondere im Life Sciences-Bereich. Dabei bewegen sich die Unternehmensbewertungen der Investitionsmöglichkeiten im Bereich bis zu 20 Mio. EUR. Die Anpassung des Unternehmenswerts kann dabei beträchtlich sein. Bei einem Beispiel erhöhte sich der Barwert aufgrund der Reife des Projekts von etwa 3 Mio. auf 16,5 Mio. EUR. In der Regel reduziert sich allerdings der adjustierte Barwert aufgrund von Defiziten beispielsweise bei der Technologie, dem Patentschutz oder fehlenden Kompetenzen im Management. Da Patente in den Life Sciences eine große Rolle spielen, führen in vielen Fällen noch nicht erteilte oder fehlende Patente in wichtigen Märkten wie den USA zu einem deutlichen Abschlag.

Limitationen

Diese Methodik stößt in der Praxis an ihre Grenzen, falls es sich um Pre-Revenue-Start-ups in der Wachstumsphase mit einer deutlich höheren Bewertung als 20 Mio. EUR handelt. Es zeigt sich in der Praxis, dass neben den Zahlen im Finanzplan Faktoren wie generelles Investitionsklima und aktuelle Relevanz des Themas eine wichtige Rolle spielen. Gerade bei Pre-Revenue-Projekten ist dabei der Glaube an die zukünftigen Märkte entscheidend. Dieser Aspekt wurde bei der bisherigen Bewertungsmethodik zu wenig berücksichtigt, obwohl die Marktseite über die Umsatzprognosen im Finanzplan abgedeckt ist und die langfristige Wachstumsrate der entsprechenden Märkte bei der Berechnung der sogenannten ewigen Rente einfließt. Zur besseren Anwendbarkeit bei höher bewerteten Projekten wurden hinsichtlich Marktpotenzial und Marktstellung Korrekturen vorgenommen. Zudem kann eine Gewichtung der 20 Bewertungskriterien vorgenommen werden. Während bei Life Sciences-Projekten die Patentsituation und das Renommee der Wissenschaftler eine große Rolle spielen, sind es bei Softwareprojekten andere Bewertungskriterien, etwa der direkte Marktzugang oder Vertriebspartnerschaften. Damit konnte die Aussagekraft des Modells deutlich gesteigert werden. Wichtig ist es, zu betonen, dass damit verschiedene Investitionsmöglichkeiten verglichen werden können. Ob ein NPV in der absoluten Höhe gerechtfertigt erscheint, ist weiterhin von vielen anderen Faktoren abhängig.

Weiterentwicklung des Modells

Die Entwicklung des Modells hat einen akademischen und damit nicht kommerziellen Hintergrund. Entscheidend sind die gesammelten Daten und Erfahrungen zu Beta- und Diskontierungsfaktoren, die als Benchmark für zukünftige Bewertungen dienen können. Da Venture Capital-Gesellschaften ihre eigenen Daten und Erfahrungen haben, kann das Modell vor allem Business Angels bei ihren Investitionsentscheidungen helfen.

Über den Autor:

Prof. Dr. Dr. Gunter Festel ist seit 20 Jahren als Business/Founding Angel aktiv und Gründer des Swiss Institute of Longevity. Zudem ist er Professor für Entrepreneurship an der
Technischen Universität Berlin und Research Fellow an der Universität Basel. Er wendet das Modell selbst seit mehr als 15 Jahren im Life Sciences-Bereich an und freut sich über Feedback von Business Angels für die Weiterentwicklung.