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Start-ups und deren Investoren haben derzeit mit einem schwierigen Marktumfeld zu kämpfen. Im Jahr 2023 haben Venture Capital-Fonds laut Financial Times so wenig Kapital eingesammelt wie zuletzt vor acht Jahren; auch 2024 ist kaum Besserung in Sicht. Geschäftsführer von Start-ups, aber auch Investoren sollten daher frühzeitig Krisensituationen erkennen und Maßnahmen einleiten, um eine Insolvenz zu vermeiden.
Geschäftsführer, aber auch Investoren sollten die in der Insolvenzordnung (InsO) geregelten, sehr strengen Insolvenzantragspflichten sowie die damit verbundenen Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken kennen. Der Geschäftsführer einer juristischen Person ist verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO) ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass ab Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit maximal drei Wochen, ab Vorliegen einer Überschuldung maximal sechs Wochen Zeit ist, um die eingetretene Insolvenz zu beseitigen beziehungsweise einen Insolvenzantrag zu stellen. Ein Verstoß führt nicht nur zu einer persönlichen Haftung der Geschäftsführung, sondern stellt darüber hinaus auch noch eine Straftat dar (§ 15a Abs. 4 InsO). Bereits ab Eintritt der Insolvenzreife besteht darüber hinaus ein allgemeines Zahlungsverbot (§ 15b InsO).
Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die Gesellschaft nicht mehr über ausreichend liquide Mittel (im Wesentlichen die freie Liquidität auf Bankkonten) verfügt, um ihre fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen. Die Prüfung, ob eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist daher relativ einfach: Was sind meine fälligen Verbindlichkeiten und wie viel liquide Mittel habe ich zur freien Verfügung.
Überschuldung
Deutlich komplexer ist die Prüfung, ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt. Die Bilanz kann dabei lediglich als Ausgangspunkt für eine Überschuldungsprüfung herangezogen werden. Das Gesetz gibt der Geschäftsführung allerdings eine für die Praxis entscheidende Erleichterung zur Hand: Ist die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, so besteht gemäß § 19 Abs. 2 InsO keine Antragspflicht wegen insolvenzrechtlicher Überschuldung. Die Geschäftsführung hat hierfür eine Prognose zu erstellen, ob nach ihrer Überzeugung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (> 50%) die Gesellschaft in den nächsten zwölf Monaten jederzeit in der Lage sein wird, ihre fällig werdenden Verbindlichkeiten zu erfüllen (positive Fortführungsprognose).
Krisenanzeichen frühzeitig erkennen
Eine Krise kann bei Start-ups unterschiedliche Ursachen haben, zum Beispiel:
- längere Entwicklungsdauer als im Businessplan vorgesehen,
- zusätzliche, im Businessplan nicht abgebildete Kosten,
- plötzlicher Wegfall einer bereits in Aussicht gestellten Finanzierungsrunde,
- Vertrauensverlust der Investoren in die Geschäftsführung,
- Streitigkeiten unter den Investoren/Gesellschaftern,
- Liquiditätsprobleme auf Ebene der Investoren.
Wichtigstes Tool für eine rechtzeitige Krisenerkennung und ein ordnungsgemäßes Krisenmanagement ist eine Liquiditätsplanung, die mindestens einen Zeitraum von zwölf Monaten, besser noch 15 Monate abdeckt. Hierdurch können frühzeitig Liquiditätsengpässe
erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Zeigt die Liquiditätsplanung,
dass ein Unternehmen beispielsweise in sechs Monaten ins Minus rutscht, so bleibt genügend
Zeit, um eine neue Finanzierungsrunde mit Bestandsinvestoren oder mit potenziellen neuen Investoren einzuleiten und erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Im Idealfall liegt eine verbindliche Finanzierungszusage vor, durch welche eine Durchfinanzierung für die nächsten zwölf Monate sichergestellt ist. Dem stehen allerdings regelmäßig die Interessen der Investoren entgegen, die finale Entscheidung für eine weitere verbindliche Finanzierungszusage nicht bereits für zwölf Monate im Voraus zu treffen.
Transparenz und enge Abstimmung mit Investoren
Offene Kommunikation und regelmäßige Reportings gegenüber den Bestandsinvestoren spielen eine entscheidende Rolle. Die Investoren müssen Vertrauen in die Geschäftsführung und den Business Case haben und frühzeitig über etwaige Abweichungen informiert werden, um rechtzeitig reagieren zu können. Gibt es Anzeichen für eine bevorstehende Krise, sollten Geschäftsführung sowie Investoren und Gesellschafter gemeinsam abstimmen, wie diese verhindert oder beseitigt werden kann. Dabei stellen sich grundsätzlich verschiedene Optionen.
Individuelle Einigungen mit Stakeholdern
Verschiedene Krisenursachen erfordern unterschiedliche Maßnahmen. Handelt es sich um eine Liquiditätskrise, ist mit den Bestandsinvestoren oder auch mit neuen Investoren über eine weitere Finanzierungsrunde zu verhandeln. Parallel oder alternativ können auch Gespräche mit wesentlichen Gläubigern über eine Reduzierung der Verbindlichkeiten oder zumindest eine Stundung und Ratenzahlungsvereinbarung geführt werden. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit kann hierdurch oftmals abgewendet oder so lange aufgeschoben werden, bis die erforderlichen finanziellen Mittel zur Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingeworben werden konnten. Gibt es Probleme im Gesellschafterkreis, etwa weil einzelne Investoren keine weiteren Mittel mehr zur Verfügung stellen können oder weil die Gesellschafter untereinander zerstritten sind, sollte eine Änderung der Gesellschafterstruktur geprüft werden. Dabei können zum Beispiel einzelne Gesellschafter durch Bestands- oder neue Investoren herausgekauft werden. Alternativ kann auch ein M&A-Prozess mit dem Ziel der Veräußerung sämtlicher Anteile eine Option sein.
Gerichtliche Sanierungsoption: StaRUG
In manchen Fällen ist eine außergerichtliche, einvernehmliche Einigung mit den Stakeholdern nicht oder nicht mehr rechtzeitig möglich. Um den Worst Case einer Insolvenz abzuwenden, sollte in diesem Fall zunächst geprüft werden, ob eine Restrukturierung nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) möglich ist. Hierbei können einzelne Gläubigergruppen restrukturiert werden. Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn innerhalb der betroffenen Gläubigergruppe (zum Beispiel Gesellschafter oder Finanzierer) eine Mehrheit von mehr als 75% die Restrukturierung befürwortet, eine Minderheit sich jedoch weigert, mitzuziehen. Vorteil eines StaRUG-Verfahrens ist, dass hierdurch eine Insolvenz verhindert werden kann. Allerdings dauert ein StaRUG-Verfahren einige Monate. Es muss daher ausreichend Liquidität zur Fortführung der Gesellschaft und zur Bezahlung der Kosten des StaRUG-Verfahrens vorhanden sein.
Insolvenz
Ein Insolvenzverfahren – sei es als Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltungsverfahren oder
Regelinsolvenzverfahren – stellt die schlechteste aller möglichen Handlungsoptionen dar und bedeutet für die Gesellschafter und Investoren regelmäßig einen Totalverlust ihrer Investitionen. Die Beteiligten sollten daher alles daran setzen, ein Insolvenzverfahren zu vermeiden. Scheitern alle anderen Sanierungsbemühungen, muss die Geschäftsführung ihre Insolvenzantragspflichten im Auge behalten und rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellen. Dabei sollte die Option geprüft werden, das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (gegebenenfalls in der besonderen Form eines Schutzschirmverfahrens) durchzuführen. Liegen die Voraussetzungen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nicht vor, so bleibt als letzte (und schlechteste) Option nur noch die Durchführung eines sogenannten Regelinsolvenzverfahrens.
Über den Autor:
Dirk Schoene ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Dentons Europe (Germany) GmbH &
Co. KG. Er ist spezialisiert auf Restrukturierung, Insolvenz und Eigenverwaltungsverfahren.