Deeptech und Nachhaltigkeit machen Mut

Aufbruchstimmung in der Start-up-Szene

Dr. Anna Christmann MdB (Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz), Dr. Robert Richter (Werk1), Prof. Dr. Helmut Schönenberger (UnternehmerTUM) & Romy Schnelle (High-Tech Gründerfonds)
Dr. Anna Christmann MdB (Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz), Dr. Robert Richter (Werk1), Prof. Dr. Helmut Schönenberger (UnternehmerTUM) & Romy Schnelle (High-Tech Gründerfonds)

Bildnachweis: Beauftragte für digitale Wirtschaft und Start-ups des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Werk1, UnternehmerTUM, High-Tech Gründerfonds, VentureCapital Magazin, Pexels.

Die deutsche Start-up-Szene steht vor einigen Herausforderungen: Das Wirtschafts-wachstum nimmt ab, Investitionen stagnieren, viele Gründerteams kämpfen um Anschlussfinanzierungen. Doch es gibt Hoffnung.

Die derzeitige konjunkturelle Schwäche setzt auch den Start-ups zu, wie der Deutsche Startup Monitor (DSM) 2024, die umfassendste Studie zur Gründerlandschaft mit über 1.800 befragten Teams, klar zeigt. Die Investitionen in junge Unternehmen stagnieren, und auch die durchschnittliche Beschäftigtenzahl ist zuletzt etwas gesunken.

Wirtschaftslage und Geopolitik trüben die Stimmung

„Die vielfältigen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen lasten auch auf den Start-ups“, sagt Dr. Anna Christmann, Beauftragte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz für die Digitale Wirtschaft und Start-ups. Das bestätigt Romy Schnelle, Geschäftsführerin des HTGF: „Die Wachstumsaussichten sind eingetrübt, Wachstums-finanzierungen werden nicht in ausreichendem Umfang getätigt, und wir sehen einen Rückgang in Volumen und Anzahl der notwendigen Exits – von IPOs, die sich seit Jahren im internationalen Vergleich auf niedrigem Niveau bewegen, ganz zu schweigen.“ Auch Prof. Dr. Helmut Schönenberger, Vice President Entrepreneurship an der Technischen Universität München und Geschäftsführer von UnternehmerTUM, einem der führenden europäischen Gründerzentren, sieht die Stimmung in der Start-up-Szene angespannt: „Weniger Frauen gründen, drei Viertel der Start-ups sind auf der Suche nach Venture Capital, und viele Investoren handeln zögerlich“, so Schönenberger. Gerade bei den frühen Anschlussfinanzierungen sei die Situation kritisch. „Die notwendigen Volumen pro Runde steigen, doch gerade in der Frühphase ist Konsortienbildung an der Tagesordnung“, so Schnelle. Das verzögere die Zusammenstellung und Finalisierung der Runden. „Dabei sind die Bewertungen nach den Boomjahren 2020/2021 wieder auf einem für alle Beteiligten guten Niveau angekommen.“ Dr. Robert Richter, Geschäftsführer beim Gründerzentrum Werk1 in München, sieht die Stimmung mittlerweile wieder verhalten positiv. „Die Investitionen sind in den vergangenen zwölf Monaten sukzessive gestiegen – die Anzahl an Investments jedoch war rückläufig; die Deals werden anscheinend besser selektiert.“ Viele Teams reagierten darauf mit Profitabilitätsprogrammen. „Das ist prinzipiell nicht verkehrt, sofern damit Wachstumsziele nicht einkassiert werden“, so Richter. „Vor allem die zunehmende Digitalisierung und der Einsatz von KI treiben derzeit die Entwicklung voran“, so Verena Pausder, Vorstand des Startup-Verbands in Berlin.

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Spitzentechnologie und B2B weiterhin stark

Die schwelende Wirtschaftskrise meistern Start-ups unterschiedlich gut. Richter sieht eine zunehmende Divergenz: „Sehr gute Teams mit Spitzentechnologie erhalten weiterhin Finanzierungen und werden zunehmend als zuverlässige Partner in der Wirtschaft wahrgenommen.“ Der Anteil B2B-orientierter Gründungen steige, und Corporates engagierten
sich zunehmend bei Unterstützungsangeboten wie etwa Gründerzentren und Entrepreneurship-Initiativen der Hochschulen. Doch Schnelle beobachtet, dass es auch für Start-ups im Industrie- und B2B-Bereich schwieriger geworden ist, Umsätze zu generieren: „Die Verkaufszyklen dauern länger, die Budgets werden aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Situation auf Kundenseite konservativer.“ Laut DSM bewerten nur noch 37,5% aller Start-ups und damit weniger als im Vorjahr die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit der etablierten Wirtschaft als gut. In der Kooperation zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups sieht Schnelle jedoch großes Potenzial. Das zeige sich täglich in der Zusammenarbeit mit den Portfoliounternehmen und den Fondsinvestoren des HTGF, zu denen neben dem Bundeswirtschaftsministerium und KfW Capital auch 45 Unternehmen und Family Offices aus den unterschiedlichsten Branchen gehören.

Aufbruchstimmung und staatliche Impulse

Ungeachtet der schwierigen Lage gehen fast 80% der Gründerinnen und Gründer davon aus, dass sich die Geschäftslage im kommenden Jahr bessern wird. „In Krisen liegen große Chancen, und diese werden sich insbesondere Start-ups zunutze machen“, so Schnelle. Christmann beobachtet, dass auch die Gründungsdynamik wieder zunimmt. So wurden im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem Halbjahr davor 15% mehr Start-ups gegründet. Auch die Bundesregierung setzt Impulse, um die Rahmenbedingungen in Deutschland zu verbessern. „Die Aufbruchstimmung war bei unserem ersten Startup Germany Summit, bei dem wir die gesamte Szene in Berlin zusammengebracht haben, zu spüren“, so Christmann. Die Veranstaltung habe auch deswegen Aufmerksamkeit erregt, weil Kanzler, Wirtschafts- und Finanzminister zusammen für junge Unternehmen und den Gründerstandort eingestanden hätten, so Richter. In diesem Ausmaß sei das ein Novum und begrüßenswert und markiere möglicherweise den Beginn einer neuen Gründerzeit. Auf dem Event wurde auch die WIN-Initiative verkündet, die mehr Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland bereitstellen soll. Unter anderem Allianz, MunichRe und Deutsche Bank haben bis zum Jahr 2030 12 Mrd. EUR Kapital zugesagt. „Damit haben die etablierten Unternehmen Verantwortung übernommen und das klare Signal gesendet, dass sie auf Start-ups als Impulsgeber und Motor der Erneuerung setzen“, so Christmann. Die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit könne nur gemeinsam von Wirtschaft und Politik, etablierten Unternehmen und Gründerteams erhalten und ausgebaut werden. „Mit der Start-up-Strategie der Bundesregierung haben wir wichtige Weichen gestellt und tragen dazu bei, das Ökosystem robuster zu machen“, befindet Christmann. Zwei Jahre nach Verabschiedung seien bereits über 80% der Maßnahmen umgesetzt. Diese Initiativen begrüßt auch Schönenberger. Ein zentrales Element dieser Start-up-Strategie der Bundesregierung ist der Leuchtturmwettbewerb Startup Factories, in dessen Rahmen deutschlandweit bis zu zehn international sichtbare Zentren entstehen, die lokale Ökosysteme flächendeckend aktivieren und stärken sollen.

Neue Start-up-Zentren, mehr verfügbare Talente

Eines dieser Zentren ist der Digital Hub Security & Defense im Großraum München. „Wenn es darum geht, den aktuellen Bedrohungen wirksam zu begegnen, spielen Start-ups im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie eine zunehmend bedeutende Rolle“, so Christmann. Das betreffe insbesondere Felder wie KI, Cybersicherheit, Drohnen und Datenanalyse. „Wenn an jedem der zehn Standorte ein erfolgreiches Gründungszentrum wie UnternehmerTUM mit 50 skalierungsfähigen Tech-Ausgründungen jährlich entsteht, wäre Deutschland eines der gründungsstärksten Länder weltweit“, so Schönenberger. Alle Voraussetzungen, wie eine ausgezeichnete Forschungslandschaft, starke Industrie und Talente, seien vorhanden. „Dieses Momentum können wir nutzen – und auch viele Gründende sehen das so.“ Der Arbeitsmarkt könnte Gründerteams dabei in die Hände spielen. „Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer Vielzahl an Jobangeboten und hohem Fachkräftemangel“, so Richter. „Derzeit gibt es mehr Jobsuchende als offene Stellen, zumal etablierte Unternehmen in den vergangenen und kommenden Monaten massiv Stellen in Deutschland abbauen, teils leider aufgrund der katastrophalen Politik aus Berlin und aus Brüssel.“ Die Start-ups würden inzwischen wieder als attraktivere Arbeitgeber angesehen, was Chancen bei der Fachkräftegewinnung eröffne.

Große Finanzierungsrunden und Unicorns trotz Krise

Doch auch unter den aktuellen Rahmenbedingungen haben viele Start-ups beeindruckende Wachstumsgeschichten geschrieben. Schönenberger nennt als Beispiel Isar Aerospace: „Wenn wir in Europa künftig nicht von China und den USA abhängig sein wollen, um beispielsweise Satellitentechnik in den Orbit zu senden, benötigen wir einen eigenen Zugang zum Weltraum und moderne Raketen.“ Das Team um Daniel Metzler und Josef Fleischmann leiste hier großartige Arbeit, sowohl technisch als auch in der Zusammenarbeit mit der Politik. Schnelle freut sich über die erfolgreiche Series G-Finanzierungsrunde von EGYM, welche die Fitnessspezialisten im September mit einem Volumen von 180 Mio. EUR schlossen. Seitdem ist EGYM das dritte Unicorn im HTGF-Portfolio. Und auch im Climatetech-Cluster des Fonds konnten Unternehmen wie Rabot Charge, Caeli Wind und Instagrid mit substanziellen Anschlussfinanzierungen überzeugen. „Typische Voraussetzungen für solche Runden sind Momentum in der Skalierung mit neuen Vertriebszugängen und steigenden Kundenwerten, stark wachsende Märkte und ein Management mit Execution Power“, sagt Schnelle. Von den Start-ups im Werk1 konnten zuletzt Turn2X und Proxima Fusion hohe Finanzierungsrunden erfolgreich abschließen.

Große Chancen in Deeptech und Nachhaltigkeit

„Insbesondere Deeptech-Gründungen sind weiterhin sehr gefragt und ziehen trotz Krise Venture Capital an“, sagt Schönenberger. „Um Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenmangel oder Energiekrise zu begegnen, braucht es kluge Ideen.“ Schon heute ist bundesweit mehr als ein Zehntel aller Start-ups in Bereich Deeptech unterwegs. „Die aus unserer Sicht zukunftsträchtigen Branchen sind Quantum, Aerospace, Energie, Kreislaufwirtschaft sowie Künstliche Intelligenz, sowohl im Softwarebereich als auch in der Robotik“, so Schönenberger, der Start-ups mit seinem Team entsprechend fördert, etwa mit den TUM Venture Labs. „Deeptech ist für Deutschland und Europa enorm wichtig, doch die Produkte haben in der Regel jahrelange Entwicklungszeiten“, so Richter, der sich darüber freut, dass auf breiter Front daran gearbeitet wird, die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Forschung zu erhöhen. „Ich finde es wahnsinnig spannend, wie viele Gründungen auf der Basis von Patenten es in Deutschland in jüngster Zeit gab“, so Pausder. „Mit unserer starken industriellen Basis und dem ingenieurstechnischen Know-how haben wir ein echtes Kraftzentrum und noch viel Potenzial.“ Als Beispiele nennt Pausder Start-ups wie die Exploration Company, die bald die ISS mit Fracht versorgt, oder Proxima Fusion, die an Kernfusion forschen, einer möglichen klimaneutralen und sicheren Energiequelle für die Zukunft. Deutschland habe das Know-how, um Batterien, Raketen oder das nächste Hightech-Medikament zu entwickeln, so Christmann, doch dafür brauche es passende Finanzierungsmöglichkeiten. Mit dem DeepTech und Climate Fonds (DTCF) setzt das BMWK hier einen besonderen Fokus – und dieser stößt auch bei Investoren auf großes Interesse. Doch Christmann betont auch die Chancen im Bereich Life Sciences mit neuen Therapiemöglichkeiten und freut sich über die zunehmende Zahl der KI-Schmieden, die digitale Tools in die Wirtschaft bringen. KI entwickele sich als Querschnittstechnologie, die in vielen Segmenten Wachstumsschübe auslöse, so Schnelle. „Auch wenn das wirtschaftliche Umfeld noch schwierig ist, werden klassische Industriesegmente wie Robotics und Automatisierung wieder anziehen.“ Einigkeit besteht auch darüber, dass Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung weiterhin starke Treiber für den Venture Capital-Markt sind. „Fast jedes Start-up, unabhängig von seiner Domäne, bezieht eine entsprechende Strategie in das Angebot mit ein“, so Schönenberger.

Krise schärft den Blick der Investoren

Die neuen Rahmenbedingungen verändern auch den Fokus der Investoren in der Frühphase. Früher habe der Blick auf Vision und Story sowie Team und Produkt überwogen, sagt Schnelle; heute berücksichtigten Venture Capitalisten viel stärker Metriken beziehungsweise KPIs. Darüber hinaus sei die Steigerung der Kapitaleffizienz wichtiger denn je. „Die Due Diligence geht tiefer, die Fundraising-Prozesse werden langwieriger und die Abstände zwischen den Finanzierungsrunden werden größer“, so Schnelle, weswegen Start-ups ihren Runway zunehmend von 18 auf 24 Monate ausweiten müssten. Gründerteams, die diese veränderten Anforderungen auf dem Schirm haben, die auf einem der zahlreichen Zukunftsfelder tätig sind und gegebenenfalls auch die vielfältigen öffentlichen Fördermöglichkeiten nutzen, dürften also derzeit gute Chancen haben.