„Unser Ziel ist es, Cannabis als seriöses Arzneimittel zu etablieren“

Interview mit Sascha Mielcarek (Canify AG)

„Unser Unternehmen verzichtet bewusst auf den Einstieg in den Cannabis-Freizeitmarkt.“
„Unser Unternehmen verzichtet bewusst auf den Einstieg in den Cannabis-Freizeitmarkt.“

Bildnachweis: Sascha Mielcarek, CEO Canify AG.

Der medizinische Cannabis-Markt wächst rasant. Experten rechnen für den EU-Markt in den nächsten zwei Jahren mit mehr als einer Verdreifachung des Geschäfts. Zugleich schlägt jetzt die Stunde der Profis und der Pharma-Experten, sagt Sascha Mielcarek. Der CEO der Canify AG erklärt im Interview, warum sich Cannabis mit seiner Komplexität von klassischen Arzneimitteln unterscheidet, welche Anforderungen das an die Anbieter stellt, wieso er die Regulierung aus zwei Blickwinkeln betrachtet und warum sich sein Unternehmen ganz bewusst gegen den Eintritt in den Cannabis-Freizeitmarkt entschieden hat.

VC Magazin: Herr Mielcarek, Canify hat bereits im Q3/2024 den Break-Even erreicht – was macht Ihr Unternehmen anders als andere Player im Markt?

Mielcarek: Unser Erfolg basiert auf drei wesentlichen Säulen: Erstens setzen wir konsequent auf eine strikte pharmazeutische Ausrichtung. Statt uns wie viele andere Unternehmen auch im Freizeitmarkt zu positionieren, konzentrieren wir uns ausschließlich auf den medizinischen Bereich. Zweitens haben wir von Anfang an eine sehr disziplinierte Kostenstruktur etabliert. Wir wachsen mit Augenmaß und finanzieren unser Wachstum über unsere Umsätze. Drittens bringen wir als Team über 200 Jahre gebündelte Healthcare-Expertise mit. Wir sind es gewohnt, höchsten Qualitätsstandards und hohen regulatorischen Anforderungen zu genügen und gleichzeitig agile und effiziente Prozesse aufzubauen.

VC Magazin: Wie bewerten Sie das Investmentpotenzial im Medizinal-Cannabis-Sektor generell?

Mielcarek: Der medizinische Cannabis-Markt steht vor einem signifikanten Wachstumsschub. Unsere Projektionen zeigen, dass sich der EU-Markt in den nächsten zwei Jahren mehr als verdreifachen wird. Besonders interessant ist dabei die Entwicklung in Deutschland: Die Herausnahme von Medizinalcannabis aus dem Betäubungsmittelstatus im April 2024 war ein Meilenstein, der den Zugang für Patienten deutlich vereinfacht hat. Wir sehen bereits eine sehr dynamische Nachfrageentwicklung, insbesondere im Selbstzahlerbereich. Dabei ist es besonders erfreulich, dass der Medizinalbereich auch bei möglichen politischen Veränderungen durch Neuwahlen als gesichert gilt – die entsprechenden Erleichterungen für Patienten werden also nachhaltig Bestand haben. Auch andere EU-Ländern wie z.B. Frankreich oder Spanien, wo in 2025 mit einer Marktöffnung für medizinisches Cannabis zu rechnen ist, eröffnen zusätzliches Potenzial. Der Markt ist dabei, sich zu professionalisieren und zu konsolidieren – ideale Bedingungen für strategische Investoren.

VC Magazin: Der Cannabis-Markt ist stark reguliert – welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus für Investoren?

Mielcarek: Die strenge Regulierung ist tatsächlich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schafft sie hohe Markteintrittsbarrieren und erhöht die Komplexität des operativen Geschäfts erheblich. Andererseits bietet genau das auch einen wesentlichen Vorteil: Unternehmen, die diese Hürden erfolgreich meistern und die notwendigen Qualitätsstandards etablieren können, haben einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Mit unserer GMP-zertifizierten Produktionsanlage in Leipheim und unserem erfahrenen Pharma-Team haben wir diese Voraussetzungen geschaffen. Für Investoren bedeutet das: Wer auf Unternehmen setzt, die sowohl regulatorische Expertise als auch pharmazeutisches Know-how mitbringen, kann von den Konsolidierungsprozessen im Markt profitieren. Der medizinische Cannabis-Markt entwickelt sich zunehmend zu einem professionellen Pharma-Markt – das schafft Planungssicherheit für Investoren.

VC Magazin: Sie setzen bewusst auf eine strikte pharmazeutische Ausrichtung und verzichten auf den Freizeitmarkt. Warum ist diese klare Positionierung so wichtig?

Mielcarek: Diese strategische Entscheidung ist fundamental für unsere Glaubwürdigkeit im Gesundheitssektor. Als pharmazeutisches Unternehmen stehen wir für höchste Qualitätsstandards und wissenschaftsbasierte Medizin. Unser Ziel ist es, Cannabis als seriöses Arzneimittel zu etablieren. Mit drei klar definierten Geschäftsbereichen – der Herstellung und dem Vertrieb von Arzneimitteln unter eigener Marke, den Produktionsservices für Dritte und mit Canify Clinics – können wir uns voll und ganz auf die Bedürfnisse von Patienten, Ärzten und Apotheken konzentrieren. Diese Fokussierung zahlt sich aus: Wir haben bereits sehr guten Zugang zu den relevanten deutschen Apotheken und verfügen über einen qualifizierten Außendienst für alle Verschreiber-Gruppen. Der Verzicht auf den Freizeitmarkt stärkt zudem das Vertrauen der Ärzteschaft, was in einem Markt, in dem nur etwa 2.500 von 50.000 Ärzten aktiv Cannabis verschreiben, ein entscheidender Vorteil ist.

VC Magazin: Wie wichtig ist die Verbindung von digitalen Angeboten wie Telemedizin mit klassischer Patientenversorgung für die Zukunft der Cannabis-Therapie?

Mielcarek: Die Kombination aus digitaler und klassischer Versorgung ist absolut zukunftsweisend. Durch den aktuellen Ärztemangel und die noch immer bestehende Zurückhaltung vieler Ärzte gegenüber Cannabis-Therapien ist ein niederschwelliger Zugang für Patienten essenziell. Mit Canify Clinics haben wir ein hybrides Versorgungsmodell entwickelt, das telemedizinische Beratung mit Vor-Ort-Behandlung verbindet. Seit der Gesetzesreform im April 2024 können wir die Arzt-Patienten-Interaktion noch flexibler gestalten. Unser deutschlandweites Ärztenetzwerk ermöglicht es Patienten, sowohl online als auch einen spezialisierten Arzt in ihrer Nähe zu finden. Diese Infrastruktur wird einer der am stärksten profitierenden Bereiche von der Reform des Medizinal-Cannabisgesetzes sein.

VC Magazin: Sie haben über 20 Jahre Erfahrung in der Pharma-Branche – wie wichtig ist klassisches Pharma-Know-how für den Erfolg im Medizinal-Cannabis-Markt?

Mielcarek: Nach mehr als zwei Jahrzehnten in der Pharma-Industrie und meiner Erfahrung als ehemaliger Europäischer Geschäftsführer von Tilray kann ich sagen: Pharma-Expertise ist absolut entscheidend. Cannabis unterscheidet sich von klassischen Arzneimitteln vor allem durch seine Komplexität in der Anwendung. Während es bei traditionellen Pharmazeutika meist klare Kategorien, Indikationen und Dosierungen gibt, erfordert Cannabis eine sehr individuelle Einstellung für jeden Patienten. Unser größter „Gegenspieler“ ist dabei die Unkenntnis und Konfusion der Marktteilnehmenden. Hier kommt das pharmazeutische Know-how ins Spiel: Es hilft uns, standardisierte Prozesse zu etablieren und gleichzeitig die nötige Flexibilität für individuelle Therapieansätze zu bewahren. Die letzten sieben Jahre waren in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade die Verbindung aus pharmazeutischer Expertise und Innovationsbereitschaft den Unterschied macht. Mit unserem erfahrenen Team können wir diese Brücke zwischen traditioneller Pharmazie und innovativer Cannabis-Medizin optimal schlagen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!

Über den Interviewpartner:

Sascha Mielcarek ist CEO der Canify AG.